: Neues von Joe, dem Klempner
Wechseljahr 2008 (34): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation
Einerseits gibt es da eine beklemmende Furcht, dass noch irgendetwas Unvorhergesehenes, gar auch Schlimmes passieren könnte. Obamas Vorsprung in den Umfragen wächst immer weiter – wegen seines beruhigend-kompetenten Umgangs mit dem Wirtschaftskrisenthema und seiner beeindruckend unerschütterlichen Coolness angesichts der vehementen Angriffe von McCain und Palin. Und trotzdem bleibt die Unsicherheit, ob Obama wirklich die Wahl gewinnen wird, stark. Siegesgewissheit ist nirgends zu sehen.
Tatsächlich hämmern ja die Republikaner weiterhin beständig – und nicht uneffektiv – auf dem Topos der von Obama angeblich geplanten „Reichtumsumverteilung“ herum und versuchen, ihn des „Sozialismus“ zu bezichtigen. Und es gibt ganz offensichtlich weiterhin verärgerte Wähler wie den viel zitierten „Klempner Joe“ in Ohio, der überzeugt ist, Obama würde seine Steuern erhöhen, und Obamas Erklärungen zum Gegenteil mit der „Stepptanzerei“ des (schwarzen) Komikers Sammy Davis Jr. verglichen hat. Und wie ist es zu deuten, dass ein Pastor das Einsegnungsgebet vor einer McCain-Veranstaltung sprach und den lieben Gott bat, doch bitte seinen Ruf zu bewahren und Obama nicht gewinnen zu lassen, weil sonst die Millionen von Buddhisten, Hindus und Muslimen in aller Welt, die sich einen Obamasieg wünschten, glaubten, ihr Gott sei größer als der der Amerikaner? Es gibt einen schwelenden Bürgerfrust, dessen Auswirkungen am Wahltag immer noch unvorhersehbar sind.
Zugleich gibt es die nicht weniger drückende Gewissheit, dass Obama, wenn er tatsächlich gewinnt, vor einer unglaublich undankbaren Aufgabe steht: dem Versuch, die Wirtschaft der USA zu retten – wenn das überhaupt möglich ist. Wer möchte wirklich gerne unter solchen Umständen der Ressourcenknappheit regieren?
Nur allmählich scheinen die Amerikaner zu erkennen, wie (bislang uneingestanden) groß der Machtverlust der USA in den letzten Jahren tatsächlich geworden ist – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Es wird auch den Demokraten gerade jetzt erst klar, dass der Irakkrieg, McCains endlosen Kriegstriumphsprognosen zum Trotz, tatsächlich weiterhin scheitert und gerade auch den Iran gestärkt hat. Und nur allmählich wächst die dumpfe Ahnung, wie unsäglich riesig und vielleicht irreparabel das ethische Defizit der USA nach acht Jahren George W. Bush tatsächlich ist. Und verwundeter Narzissmus bietet nie einen schönen Anblick.
DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht u. a. über den Aufstieg der religiösen Rechten in den USA