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Archiv-Artikel

Schreiben und die eigene Haut verlassen

Die Senegalesin Khadi Fall ist ein politischer Mensch, nicht nur weil sie ein Jahr Ministerin in Senegal war. Sie studierte in Deutschland Germanistik und lebt nun als Professorin in Dakar. Dort schreibt sie Romane und arbeitet über Themen wie Übersetzung und interkulturelle Kommunikation

von KATRIN SCHNEIDER

Sie habe angefangen zu schreiben, so erzählt die senegalesische Schriftstellerin und Germanistikprofessorin Khadi Fall während einer Tagung mit afrikanischen Schriftstellerinnen in Bad Boll, weil sie es in ihrer Promotionszeit irgendwann satt hatte, deutsche Bücher zu lesen. Für ihre Doktorarbeit musste sie sich durch die Werke von zehn deutschen Autoren arbeiten, u. a. von Böll, Grass, Frisch und Lenz. Besonders der Stil von Siegfried Lenz habe sie begeistert und ihr Schreiben beeinflusst.

Für ihren ersten Roman, „Mademba“, hat sie die Erzählperspektive eines 19-jährigen Jungen gewählt. Mademba vertraut einem Tonband sein bisheriges Leben an, weil er befürchtet, bei einer bevorstehenden Operation seine Stimme zu verlieren oder sogar zu sterben. Durch seine Geschichten erhält der Leser einen Einblick in verschiedene soziale Milieus, es entsteht ein Kaleidoskop der senegalesischen Gesellschaft. Für das Manuskript wurde Khadi Fall 1985 mit dem Preis des Romans in Senegal ausgezeichnet, veröffentlicht wurde der Roman allerdings erst vier Jahre später in Paris. Als der französische Verleger einige Stellen streichen wollte, weil sie – so Khadi Falls Interpretation – nicht den Klischees der französischen Bevölkerung über das Denken und Fühlen von Afrikanern entsprächen, war ihre Antwort eindeutig und kompromisslos: „Entweder Sie drucken den Text vollständig, oder Sie veröffentlichen mich gar nicht.“

Geschrieben hat Khadi Fall den Roman auf Französisch und nicht in ihrer Muttersprache Wolof. Das Thema der Mehrsprachigkeit ist für sie zentral. Sie ist überzeugt, dass es durch die Kolonialsprachen zu einer Entwurzelung der Afrikaner gekommen ist. Nicht nur die ökonomischen Missstände sind ihrer Ansicht nach schuld an der Bildungsmisere in Afrika – in Senegal sind rund 80 Prozent der Frauen Analphabetinnen –, auch kulturelle Faktoren spielen eine Rolle. „Die Unterrichtssprache ist immer noch Französisch, auch in den Dörfern; es ist die Sprache der ehemaligen Kolonialherren, und deshalb hat sich die Bevölkerung die Schule nicht angeeignet. Ohne unsere eigenen Sprachen werden wir uns nie entwickeln, denn die Mehrheit unserer Bevölkerung betrachtet die Schule als etwas Fremdes, sie fühlt sich ausgeschlossen. Das ist eines der wichtigsten Probleme, und davon redet man nicht genug.“

Khadi Fall weiß, wovon sie spricht. Denn während eines kurzen Ausflugs in die Politik nach dem Regierungswechsel in Senegal im Jahr 2000 machte sie während ihrer einjährigen Amtszeit als Ministerin für Dezentralisierung und Raumordnung viele Reisen aufs Land, um die Dorfbewohner über ihre Möglichkeiten der Partizipation an politischen und ökonomischen Entscheidungen aufzuklären. Sie konnte dabei von Erfahrungen profitieren, die sie zwanzig Jahre früher als damals noch aktives Mitglied der senegalesischen Frauenbewegung sammelte. Noch gut erinnert sie sich daran, wie sie mit einer Gruppe städtischer Intellektueller, die die Beschneidung von Frauen im südlichen Senegal bekämpfen wollte, von den Dorffrauen empfangen wurde: „Sie kamen uns mit Knüppeln bewaffnet entgegen.“

Heute versteht sie, warum. „Wir wollten diesen Frauen sagen, was sie tun oder lassen sollen. Das war genau das, was die Franzosen mit uns gemacht haben, dagegen haben sich die Frauen gewehrt. Wir haben daraus gelernt, dass man so sprechen muss, dass die Menschen, die nie eine Schule besucht haben, einen verstehen, und man muss sich kleiden wie sie.“

Khadi Fall ist ein politischer Mensch; das wird auch in ihrem zweiten Roman, „Der Duft der Regenzeit“, sichtbar, der 1993 erschien. In diesem Roman wird aus der Sicht der 55-jährigen Anwältin Tembi Mkwanazi die Geschichte einer Flucht aus dem südafrikanischen Apartheid-System erzählt. Die Ich-Erzählerin erinnert sich, wie sie als 22-Jährige ihr Heimatland verließ und über Ghana und Guinea schließlich nach Senegal kam. Es werden in dem Buch wichtige afrikanische Themen behandelt wie die Macht und Gewalt in Diktaturen und die Schwierigkeit des Ehelebens in einem Kontext, in dem Polygamie weit verbreitet ist. „Besonders in Afrika hat die Literatur eine Aufgabe zu erfüllen. Sie kann es sich nicht erlauben, nicht engagiert zu sein“, davon ist Khadi Fall überzeugt.

In Zukunft will sie nur noch in Wolof schreiben, damit sie in ihrem eigenen Land verstanden wird. Die Frage ihrer Mutter, die kein Französisch spricht und die Bücher ihrer Tochter nicht lesen kann, hat sie aufgerüttelt: Für wen schreibst du eigentlich? Die Antwort ist eindeutig: in erster Linie für Afrikaner.

Trotz der ernsten Themen, die sie in ihren Büchern anspricht, amüsiert sich Khadi Fall beim Schreiben. „Es ist ein Vergnügen für mich, solche Montagen zu machen, die kleine Geschichte in der großen zu erzählen und – wie es einer unserer besten Märchenerzähler ausgedrückt hat – meine eigene Haut zu verlassen, um etwas zu erzählen, und dann zurückzukommen.“ Obwohl die heute 54-jährige Mutter von vier Kindern bereits 1983 in Straßburg in Germanistik promovierte, kam sie erstmals 1992 für eine längere Zeit nach Deutschland. Als Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung hatte sie zwei Jahre lang Zeit, um in Hannover ihre Habilitationsarbeit zu schreiben. Sie erzählt, dass sie 16 Stunden am Tag gearbeitet und erst kurz vor ihrer Abreise den Maschsee und die Herrenhäuser Gärten entdeckt habe. Der Gegenstand ihrer Habilitationsschrift ist ein Klassiker der afrikanischen Literatur: „Gottes Holzstücke“ von ihrem Landsmann Sembène Ousmane.

Bei der Lektüre dieses Romans war ihr aufgefallen, dass hinter der Oberfläche des Französischen Spuren der Muttersprache Wolof durchscheinen. Diesen „Urtext“ hat sie rekonstruiert und mit der deutschen Übersetzung verglichen.

Khadi Fall, die seit vielen Jahren als Germanistikprofessorin an der Universität in Dakar lehrt, nutzt dieses Beispiel als Unterrichtsmaterial in ihren Kursen, die sie derzeit im Rahmen einer Georg-Forster-Professur für Interkulturelle Literaturwissenschaft an der Universität Hannover zu den Themen „Literarische Übersetzung und interkulturelle Kommunikation“ anbietet.

Von ihren eigenen Romanen gibt es bislang noch keine deutschen Übersetzungen, nur das erste Kapitel aus „Der Duft der Regenzeit“ wurde in der Zeitschrift Welfengarten in deutscher Fassung veröffentlicht. Anlässlich des 65. Geburtstags ihres akademischen Lehrers, Prof. Leo Kreutzer, hat Khadi Fall zum ersten Mal einen Text auf Deutsch geschrieben. Darin schildert sie die Begegnung zwischen Massamba, dem Sohn eines afrikanischen Kochs, und Johannes, einem deutschen Jungen aus Niedersachsen, in einem Touristenort an der senegalesischen Küste. In die Geschichte sind Erfahrungen eingeflossen, die sie in Deutschland gemacht hat, zum Beispiel die lautstarke Empörung ihres damals sechsjährigen Sohns, als sich ein Paar auf dem Frankfurter Flughafen in aller Öffentlichkeit küsste.