: „Da gab es ein gewisses Aufjaulen“
Lehrer und Lehrerinnen müssten viel länger in der Schule sein, um ihren Erziehungsauftrag wahrnehmen zu können. Defizite sieht Wissenschaftler Hilbert Meyer auch bei der Schulleiter-Ausbildung und der Teamarbeit im Klassenzimmer
taz ■ Hilbert Meyer (kleines Foto) ist Erziehungswissenschaftler an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit dem Schwerpunkt Schulentwicklung. Als Experte hat er an den Empfehlungen des runden Tisches mitgearbeitet, die im Gefolge der Pisa-Studie in Bremen ausgearbeitet wurden. Nicht alle seine Ideen kamen haben Eingang gefunden.taz: Sie vertreten die Auffassung, dass Lehrer und Lehrerinnen aufhören sollen, darüber zu jammern, dass ihnen Erziehungsaufgaben zugeschustert werden, für die eigentlich die Familie zuständig ist. Stattdessen sollen Lehrer diese Aufgabe annehmen. Hat das aber nicht viel mit Präsenz über die reine Unterrichtszeit hinaus zu tun?Hilbert Meyer: In der Tat. Und insofern ist die Ganztagsschule der richtige Weg. Die Erhöhung der Präsenzpflicht für die Lehrer ist im Übrigen die entscheidende Zäsur in der Schulentwicklung der Pisa-Gewinnerländer gewesen. Ich habe deshalb als Experte beim runden Tisch schon im Juni für eine Erhöhung der Präsenzpflicht um zehn Stunden pro Woche geworben. Da gab es ein gewisses Aufjaulen und es ist auch nicht in die Empfehlungen aufgenomen. Aber wir müssen wegkommen von der Abrechnung des Lehrergehalts nach gehaltenen Stunden. Das hilft gerade den aktiven Kolleginnen und Kollegen, die viel darüber hinaus arbeiten.
Also die Arbeitszeit erhöhen? Nein! Es geht um die Anwesenheit im Gebäude. Ein Kollegium, muss über die Gesamtarbeitszeit der Lehrer verfügen können. Man könnte dann auch manche Katastrophe vermeiden und manchen Lehrer, der jetzt nur mitgeschleppt wird, wieder sinnvoll einsetzen.
Wer verhindert eine solche Entwicklung?Es ist weitgehend ein mentales Problem. Die Bremer Lehrerinnen und Lehrer haben das Gefühl, dass seit zehn, fünfzehn Jahren immer nur abgebaut wird, und verschließen sich entsprechend. Wobei Bremen ein begrüßenswert hohes Niveau an Service-Einrichungen und Freistellungen hatte. Jetzt nähert sich die Stadt langsam den schlechten Standards der Niedersachsen an. Die entscheidende Bremse ist aber dieses aufs Stundenhalten fixierte Berufsverständnis. Das muss aufgebrochen werden.
Stichwort Unterrichtsqualität: Sie sagen, Lehrer beriefen sich fast ausschließlich auf ihre eigenen Erfahrungen, wenn es um den Unterricht geht. Sie müssten aber eigentlich kontinuierlich den wissenschaftlichen, pädagogischen Diskurs verfolgen. Ihr Vorwurf lautet also: Lehrer schmoren im eigenen Saft?Ja, das ist empirisch abgesichert. Es gibt eine vielzitierte Untersuchung, da haben drei Viertel der Lehrerinnen und Lehrer erklärt, dass sie sich primär auf ihre eigenen Erfahrungen stützen. Da besteht Änderungsbedarf. Es gibt eine Definition für professionelles Lehrerhandeln und die lautet: Er oder sie muss in der Lage sein, die eigenen praktischen Erfahrungen und das Theoriewissen ‚auszubalancieren‘. Man muss hin und wieder Distanz zum eigenen Tun herstellen.
Wie kann darüber hinaus eine Qualitätskontrolle des Unterrichts stattfinden?Der beste Weg ist die Team-Arbeit. Und das bedeutet mehr, als in Konferenzen zusammenzusitzen. Es bedeutet, gemeinsam zu unterrichten. Das produziert hohe Personalkosten. Ich würde deshalb als Schulleiter an anderen Stellen die Arbeit mit kleinen Schülergruppen reduzieren, um mehr Teamteaching hinzubekommen. Kollegenbesuch beim Unterricht muss zu einer Selbstverständlichkeit werden. Ich kenne eine Schule in Israel, in der auf einstimmigen Beschluss des Kollegiums die Trennwände zwischen den Klassen eingerissen worden sind. Das klingt utopisch, aber es ist so. Auch das Feedback durch die Schüler muss systematisiert werden. Wir müssen davon wegkommen, immer nur die positiven Rückmeldungen aufzusaugen und die negativen zu verdrängen.
Sie vertreten die Aufassung, dass das Berufsbild des Schulleiters/der Schulleiterin viel genauer umrissen werden müsste und auch mit einer entsprechenden Ausbildung versehen sein müsste. Wo sehen Sie denn aktuell die Defizite?Wir fordern schon seit mehreren Jahren, die Schulleiteraufgabe zu einem eigenen Beruf zu machen und das heißt, sie nicht aus der Lehrertätigkeit herzuleiten. Man muss ja nicht nur gut unterrichten, sondern auch ein Kollegium leiten können. Zurzeit gibt es ja gar keine Ausbildung zum Schulleiter, nur Crash-Kurse.
Die Idee eines Berufsbildes Schulleiter hat doch sehr viel mit der Eigenständigkeit der Schulen zu tun: Wo nichts zu managen ist, kein Budget und kein Personal, da braucht man auch keinen Manager.Ja natürlich. Je eigenständiger die Schule ist, desto mehr Aufgaben ergeben sich daraus. In England oder Israel, auch in den USA hat der Schulleiter eine sehr starke Stellung. Dann allerdings auch in Fragen, die den deutschen Schulleitern vielleicht gar nicht angenehm sind, z.B. Personalentscheidungen zu fällen und auch mal einen Lehrer zu feuern.
Fragen: Elke Heyduck