Milliardäre, Verräter und ein Volk

Mit Begeisterung und Kreativität wollte das Team New Zealand beim America’s Cup der Segler der „Alinghi“ des schwerreichen Schweizers Ernesto Bertarelli Paroli bieten, befindet sich nach zwei Niederlagen zum Auftakt jedoch bereits in höchster Seenot

von MATTI LIESKE

Es war ein Bild, das in Neuseeland niemand, aber auch wirklich niemand sehen wollte: Dean Barker, deprimiert auf dem Boden seiner manövrierunfähigen Yacht „NZL-82“ kauernd; Dean Barker, niedergeschlagen über das Steuerrad gebeugt. Zwei Renntage, zwei Niederlagen für den 29-jährigen Skipper des Team New Zealand, fataler hätte im Hauraki-Golf vor Auckland das Finale um den America’s Cup der Segler für den Titelverteidiger kaum beginnen können.

Zwar trägt die neuseeländische Crew auch im Wettstreit mit der schweizerischen „Alinghi“ die legendären roten Socken des Peter Blake, der 1995 und 2000 die älteste Sporttrophäe der Welt zu den Kiwis holte. Doch der Mythos der Unbesiegbarkeit, der den vor einem Jahr von Amazonaspiraten ermordeten Syndikatschef umgab, ist dahin. Der unverhoffte 0:2-Rückstand macht das Unterfangen der Neuseeländer noch schwieriger, sich mit Enthusiasmus, Kreativität und seglerischem Geschick gegen den geballten Angriff der Milliardäre zu behaupten, die ihre Boote ins Rennen gegen den Cupverteidiger schickten.

Team New Zealand kann nicht auf einen großen Finanzier zurückgreifen, sondern brachte seinen Etat von rund 40 Millionen Dollar durch eine Vielzahl von Sponsoren und Spendern aus Neuseeland auf – einem Land, dessen Bruttosozialprodukt etwa so hoch ist wie die Summe des Vermögens der vier Herren Ernesto Bertarelli, Paul Allen, Craig McCaw und Larry Ellison, die jeweils Yachten in die Herausfordererrunde des America’s Cup entsandten. Bertarelli, Pharmamilliardär aus der Schweiz und selbst ein glänzender Segler, investierte mindestens 60 Millionen Dollar, schaffte es ins Finale und ist jetzt drauf und dran, die begehrteste Trophäe des Segelsports erstmals in ihrer 152-jährigen Geschichte nach Europa zu entführen.

Dabei war der Optimismus in Auckland groß gewesen, als vergangene Woche die „NZL-82“ enthüllt wurde, mit ihrer gigantischen Kielbombe und dem „Hula“ genannten Anhang, die größere Stabilität und Schnelligkeit garantieren sollten. Doch dann erwies sich das Boot am ersten Tag bei starkem Wind als kaum seetüchtig, lief voll Wasser und brach fast auseinander; am zweiten Tag musste sich Dean Barker bei ruhiger See der Segelkunst seines einstigen Lehrmeisters Russell Coutts beugen. Kurz vor dem Ziel wurde das schwarze Ungetüm der Neuseeländer noch überholt, eine Aktion, die Josh Belsky von der „Alinghi“ vor dem Finale als besonders schwierig erklärt hatte. „Wenn sie führen, wird es hart“, hatte der New Yorker eigentlich geglaubt.

Experten prophezeien zwar weiterhin ein enges Rennen in der Best-of-nine-Serie, da beide Boote etwa gleich schnell seien, doch es scheint, dass die größere seglerische Kompetenz auf seiten der „Alinghi“ liegt, wenn sich Barker und seine Crew nicht noch mächtig steigern. Was kein Wunder ist, schließlich besteht der Kern des Schweizer Teams, neben Navigator Bertarelli und dem deutschen Strategen Jochen Schümann, aus lauter Leuten, die einst mit Peter Blake Neuseelands America’s-Cup-Ruhm mehrten. Mehr als 30 neuseeländische Segler folgten dem Ruf der Milliardäre, Chris Dickson, der schon 1987 mit einer Kiwi-Yacht teilnahm, steuerte zum Beispiel Larry Ellisons „Oracle“ ins Herausfordererfinale. Der Zorn des neuseeländischen Volkes traf jedoch vor allem die sechs „Verräter“, die bei Bertarelli anheuerten, allen voran den 40-jährigen Russell Coutts und den 43-jährigen Taktiker Brad Butterworth. Restaurants in Auckland verweigerten ihnen die Bedienung, es gab Schmähplakate und Drohbriefe. Die Kampagne des Team New Zealand steht nicht umsonst unter dem Motto „Loyalität“.

Erst als Coutts seine Beweggründe für die Auswanderung erläuterte, beruhigte sich die Lage ein wenig. Als Peter Blake nach dem Sieg vor drei Jahren seinen Rückzug erklärte, galt Coutts als logischer Nachfolger. Doch er fühlte sich schlecht behandelt. Die Syndikatseigner hätten ihn bei wichtigen Entscheidungen übergangen und seine Kompetenzen drastisch beschränken wollen, deshalb habe er sich zurückgezogen. Sein gutes Recht, urteilten in einer Umfrage drei Viertel der befragten Neuseeländer, andere beharren darauf, dass es doch das viele Geld gewesen sei, welches Coutts den Gang nach Genf schmackhaft gemacht habe. 80 Prozent zeigten sich immerhin überzeugt, dass das einheimische Team am Ende trotzdem den Triumph davontragen werde.

Dafür scheinen zunächst Siege in den Wettfahrten heute und morgen unabdingbar. Viel wird davon abhängen, wie der junge Skipper die Rückschläge und den immensen Druck der Hoffnungen und Sehnsüchte eines ganzen Landes wegstecken kann. Einen verzweifelt auf sein Steuerrad gesackten Dean Barker will man in Neuseeland jedenfalls so bald nicht mehr erleben.