piwik no script img

Archiv-Artikel

Buh-Garantie

Ring frei zur zweiten Runde: An der Hamburgischen Staatsoper hatte Wagners „Die Walküre“ Premiere

Den Walkürenritt choreografiert Guth als Nahkampftraining im Hühnerhaufen

VON FLORIAN ZINNECKER

Kurz vor dem dritten Klingeln haut er ab. Bühnentür auf, zwei, drei scheue Blicke in die Gesichter derer, die gerade noch im Seitengang stehen – keiner erkennt ihn. Hoch die Treppe, ab durch den Ausgang. Oder doch in die Loge? Egal. Jetzt kann er ohnehin nichts mehr ausrichten, kann nur warten, fünf Stunden lang. Dann muss er auf die Bühne, im grauen Anzug, und sich seine Buhs abholen. Dass er die kriegt, ist jetzt schon sicher. Es wäre das erste Mal, dass er, Claus Guth, hier keine kriegte.

Und Guth kriegte sie auch diesmal: bei der Premiere der „Walküre“, dem zweiten Teil des „Rings des Nibelungen“, in der Hamburgischen Staatsoper. Dabei hatte es der Regisseur des Hamburger „Ring“-Großprojekts seinem Publikum diesmal leicht gemacht: Was er servierte, war ganz und gar kein dicker Brocken. Sondern sehr leicht zu verdauen. Guth ließ die Finger davon, das Libretto so lange zu durchforsten, bis er einen unbeleuchteten Fleck gefunden hat, um dort seine Deutung zu verorten. Was er eigentlich gerne tut.

In seiner „Walküre“ zeigt Guth dagegen nur, was offensichtlich ist. Mit einer exzellenten und bis ins Detail ausgefeilten Personenregie. Und mit einer Vielzahl mehr oder weniger eleganter Querverweise – lieber einem zu viel als zu wenig. Keine Anspielung bleibt in der Luft hängen, alles wird illustriert, zu Ende erklärt. Was Guth und sein Ausstatter Christian Schmift auf die Bühne der Staatsoper bringen, ist wasserfest und durchweg idiotensicher. Vorzubereiten brauchte sich hier niemand, im Gegenteil, wenn die Walküren zu Beginn des dritten Akts auf Schlafsaalbetten herumgaloppieren, ist es sogar besser, den Text nicht zu genau zu kennen. Aber auch Generalmusikdirektorin Simone Young, die die Premiere musikalisch leitet, bekommt einige Buhs ab. Sogar schon zu Beginn des zweiten und dritten Akts. Daran liegt es vielleicht, dass ihr nach einem fulminanten ersten Akt so manches Thema arg in die Breite und sogar der eine oder andere Einsatz verlustig ging.

Die Geschichte handelt – in aller Kürze – vom Scheitern eines germanischen Patriarchen: Wotan, der oberste Germanengott, sieht seine Allmacht vom Nibelungen Alberich bedroht. Der taucht in der „Walküre“ zwar gar nicht auf, allerdings hatte er sich im „Rheingold“, dem einleitenden Teil der „Ring“-Tetralogie, einen Ring geschmiedet, der seinem Träger maßlose Macht verleiht. Wotan erpresste den Ring für sich, musste dann aber seine Burg Walhall damit finanzieren. Während der „Walküre“ liegt der Ring in der Höhle des Riesen und Burgenbauers Fafner, der sich in einen Drachen verwandelt hatte. Fällt der Ring Alberich in die Finger, ist’s vorbei mit der Gottheit. Um ihn zurückzuholen, braucht Wotan – selbst kann er es nicht, weil er einen Vertrag mit dem Riesen schloss – die Hilfe eines freien Menschen. Die Konsequenz: Wotan geht fremd und zeugt Siegmund, dazu noch dessen Zwillingsschwester Sieglinde. Wotan arrangiert, dass sich die Geschwister verlieben – was seiner Frau Fricka, der Hüterin der Ehe, nicht passt. Sie fordert Siegmunds Tod, nicht zuletzt, weil auch die Existenz eines frei denkenden Menschen die Götter in ihrem Wesen bedroht. Wotan knickt ein. Er beauftragt seine Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, Siegmund im Kampf gegen Sieglindes Gatten fallen zu lassen. Das wiederum gefällt Brünnhilde nicht: Aus Mitleid hält sie zu Siegmund, was diesem nichts bringt und dazu Wotan rasend macht – er verstößt Brünnhilde und ist damit schlussendlich über seine eigenen Füße gestolpert. Soweit die Situation. Die Aufgabe: Bitte einmal in vier Stunden erzählen, so schlüssig und spannend wie möglich.

Guth schlug sich wacker: Er legt den ersten Akt, in dem Siegmund Sieglinde erst begegnet und sie schließlich, wenn auch nur musikalisch, beschläft, symbolisch auf einem überdimensionalen Leuchttisch an. An der Wand lehnt das Modell von Walhall in der Landschaft, das im „Rheingold“ den Göttern noch vielsagend im Weg herum stand. Jetzt ist es eingemottet: Wotan hat sichtlich die Grenzen seiner Vision erkannt. Am Leuchttisch versucht er zu retten, was zu retten ist: Er lässt die Geschwister treffen und sich verlieben, lässt Siegmund das für ihn bestimmte Schwert finden.

Dass hier jemand seine Finger im Spiel hat, bleibt dem Publikum für gewöhnlich verborgen. Diesmal nicht: Bei Guth taucht Wotan auch im ersten Akt höchstselbst auf, damit auch wirklich jeder kapiert, dass er gemeint ist, wenn die Hörner per Leitmotiv an ihn erinnern. Siegmunds Schwert bringt er gleich mit und rammt es es in den Haustürrahmen – damit es Siegmund theatralisch wieder herausziehen kann. Siegmund und Sieglinde als Kinder tauchen auch noch auf – könnte ja sein, dass jemand den Text wirklich nicht kennt.

Brünnhildes Todesverkündung an Siegmund findet Ende des zweiten Akts schließlich unter dem Leuchttisch statt, der dritte spielt im Ausbildungslager der Walküren, einem heruntergewirtschafteten Saal mit durchgebrochener Decke. Kein schönes, aber ein stimmiges Bild: Während unten Wotans Töchter als graue Mäuschen herumturnen, stehen oben abwechselnd Brünnhilde, Sieglinde und zuletzt Wotan buchstäblich vor dem Abgrund. Den Walkürenritt als publikumsträchtigsten Teil der Oper choreografiert Guth als Nahkampftraining im Hühnerhaufen und spätestens jetzt wird sein Schicksal beim Schlussapplaus gewiss. Daran kann auch das Schlussbild mit echtem Feuer nichts ändern: Brünnhilde liegt schlafend im Feuerkreis, wartet auf einen Helden, der sich vor den Flammen nicht fürchtet. Würde nicht schon die Musik verraten, dass dieser Held der noch ungeborene Siegfried ist, müsste man meinen: Kann ja nicht lange dauern, bei diesen erbärmlichen Flämmchen.

Der einzig echte Schwachpunkt: Die Standpauke Frickas an Wotan, die Schlüsselszene für alles, was sich im Weiteren auf der Bühne tut, driftet am Premierenabend ab in die Belanglosigkeit. Schade – der souverän agierende Wotan Falk Struckmanns würde sich von diesem bisschen Gekeife nie so aus der Fassung bringen lassen wie es das Libretto vorschreibt. Außer vielleicht am Premierenabend, da Struckmann sich eine Grippe eingefangen hatte und seine Partie nur spielen konnte. Für seine Stimme sprang kurzfristig der Hamburg-Debütant Thomas J. Mayer ein. Auch die eigentlich vorgesehene „Brünnhilde“ Lisa Gasteen war indisponiert, weshalb die Brünnhilde-erprobte Deborah Polaski den Part routiniert übernahm. Keine Frage, dass es Polaski und Mayer sind, die das Publikum frenetisch feiert. Guth und Team kommen zum Schluss. Und holen sich die Buhs ab. Ohne dabei wirklich überrascht zu wirken. War ja klar.