: Protestbrief an Hitler
Der Orientreisende aus Wuppertal: Armin T. Wegner ist einer der erfolgreichsten Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts und beinahe vergessen. Nun entdeckt die Guardini-Galerie ihn wieder
VON RONALD DÜKER
Kaum einer kennt heute noch Armin T. Wegner. Dabei ist Wegner – das T steht geburtsurkundlich für seinen zweiten Vornamen Theophil, wurde aber von türkischen Freunden später in „Tarik“ umgemünzt – einer der erfolgreichsten deutschen Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts. Tarik, das bedeutet „der des Weges gehende“ und bringt die Lebensmaxime des 1886 in Wuppertal geborenen Autors auf den Punkt.
Nach einer ersten, eher unauffälligen Karriere im Fach der expressionistischen Großstadtlyrik, zog es Wegner in den Zwanzigerjahren mit aller Macht ins Offene. Er sehnte sich nach Wüsten und Steppen – leeren Landschaften, die er vor allem im Kaukasus, in Persien, Ägypten und Palästina fand. Wegner liebte den Orient, und er konnte schreiben. Daher rissen ihm die Verlage die Berichte seiner ausgedehnten und abenteuerlichen Reisen (Wegner war überwiegend mit dem Motorrad unterwegs) zumindest eine Zeit lang geradezu aus den Händen. Allein 1930 erschienen die mit eigenen Fotografien versehenen Reisebücher „Fünf Finger über dir“, „Jagd durch das tausendjährige Land“ und am „Kreuzzug der Welten“. Von letzteren dieser Titel brachte die Büchergilde Gutenberg 500.000 Exemplare unter die Leute; eine Auflage, die selbst aktuelle Reiseschriftsteller in der Liga Ilja Trojanows vor Neid erblassen lassen muss. Auf diesen ungeheuren Erfolg folgte für Wegner aber dann der umso drastischere Absturz. „Mir geht es gut, meinem Werk nicht“, gab der bitter Enttäuschte 1972, sechs Jahre vor seinem Tod, im italienischen Exil zu Protokoll.
In Deutschland war Wegner zu diesem Zeitpunkt völlig in Vergessenheit geraten. Und er konnte von Glück sagen, dass er zumindest mit dem Leben davon gekommen war. Am 11. April 1933 war Wegner so mutig gewesen, in einem persönlich an Adolf Hitler adressierten Brief gegen die Verfolgung der Juden zu protestieren. Folglich wurden bei der Bücherverbrennung auch seine Werke dem Feuer übergeben, Wegner selbst von der Gestapo verhaftet und mehrere Monate interniert und gefoltert, unter anderem in Oranienburg. Seiner wundersamen Entlassung im Jahr 1934 folgte der Gang ins lebenslange italienische Exil: Positano, Stromboli und Rom.
Wegners biografische Tragödie besteht darin, dass er für das durch die Nazis an ihm verübte Unrecht keine Genugtuung erhalten sollte. Im Gegenteil. Die symbolische Auslöschung durch die Bücherverbrennung zog 1947 eine zweite Totsagung nach sich: Als Ricarda Huch auf dem ersten deutschen Schriftstellerkongress nach dem Krieg eine Gedenktafel für die im Nationalsozialismus ermordeten Autoren enthüllte, fand sich darauf auch Wegners Name. Man hielt den Mann für tot.
Wer also war dieser Armin T. Wegner? Eine Wiederentdeckung des Autors wird gerade durch eine im Wallstein Verlag geplante Neuauflage seiner Bücher eingeleitet und auch durch eine Ausstellung, die in Berlin-Kreuzberg in der Galerie der Guardini-Stiftung (benannt nach Romano Guardini, dem katholischen Religionsphilosophen) zu besichtigen ist. Der an diesem Ort schon satzungsgemäß vorgesehene Dialog zwischen den Kulturen und Religionen scheint auf eine Figur wie diese geradezu gewartet zu haben. Wegner, der Menschenfreund, Wegner der Kosmopolit, Wegner der Pazifist: Dass dieser Schriftsteller in der Türkei, wo man ihn liebevoll Tarik nennt, in Israel, wo man ihn unter die „Gerechten der Völker“ aufgenommen hat, und in Armenien, wo sich sein Grab befindet, offenbar gleichermaßen geschätzt wird, verschleiert die Konturen dieses Mannes aber eher, als dass es sie schärft.
Im Gegensatz zu den schillernden Orientreisenden Lawrence von Arabien oder Ladislaus Almásy, die in geheimdienstlicher Mission zwischen den Kriegsfronten unterwegs waren, anders auch als der exzentrische Schriftsteller Essad Bey, der trotz seiner jüdischen Wurzeln mit dem Nationalsozialismus kokettierte, stellt sich Wegner heute als Weltbotschafter der reinsten political correctness dar – und frei von jeglicher Ambivalenz.
In dieses Bild passen auch die in der Guardini-Galerie gezeigten Fotografien, die Wegner zwischen 1915 und 1929 aufgenommen hat. Zum einen handelt es sich um alltägliche Szenen aus Israel (das bei Wegner stets Palästina heißt), Persien, Ägypten und dem Kaukasus: die Basare von Jerusalem und Teheran, eine Tankstelle in Jaffa, Fischer am Nil und Fischhändler am See Genezareth. Und immer wieder ist der Schriftsteller selbst zu sehen oder seine Frau; die Dichterin Lola Landau hatte ihn im Beiwagen seiner weißen „Ardie-Maschine“ jahrelang begleitet. Bildunterschriften wie „Die Jugend von Tiberias begrüßt unser Klepperboot ‚Arche Noah‘“ oder „Der Arm des Verkehrspolizisten gebietet auch hier Halt!“ geben diesen Bildern den Anschein einer pittoresken Harmlosigkeit, die einer weiteren Fotoserie dieser Ausstellung hingegen umso gründlicher abgeht.
Es handelt sich hierbei um Zeugnisse einer Szenerie, in die es den Schriftsteller, der 1915 als freiwilliger Krankenpfleger in der Deutsch-Ottomanischen Sanitätsmission diente, durch reinen Zufall verschlagen hatte. Der in der Osttürkei stationierte Wegner fand sich inmitten des Völkermordes an den Armeniern wieder und hielt seine Kamera wie ein Reporter auf die grausamsten Momente von Ermordung und Vertreibung. Die Bilder von Leichen im Straßengraben und von Erhängten, von Familien, die – ihr ganzes Hab und Gut am Leib – über Gebirgspässe ziehen müssen, und armenischen Frauen im Lager schärften das pazifistische Bewusstsein des 30-jährigen Wegner, der, wie 1933 erneut, daraufhin eine Protestnote an einen Staatschef sandte. Sein offener Brief an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson prangerte die „Austreibung des armenischen Volkes“ an. Und doch lässt sich Wegner über seiner Rage, in die ihn die Verbrechen der Jungtürken versetzt hatten, am Ende zu keiner Parteinahme verleiten: „Ich klage“, so schreibt er, „nicht den Islam an. Der Geist jedes großen Glaubensbekenntnisses ist edel, und die Handlung manches Mohammedaners hat uns vor den Taten Europas die Augen niederschlagen lassen. Ich klage nicht das einfache türkische Volk an, dessen Seele von tiefer Sittlichkeit erfüllt ist.“ Armin T. Wegner, dieser Orientreisende aus Wuppertal, ist keine schillernde, sondern in ihrer Menschenfreundlichkeit beinahe irritierend geradlinige Figur. Und er ist das radikale Gegenteil der Kulturkämpfer unserer Tage. Allein dafür hat dieser Vergessene seine Wiederentdeckung verdient.
Bis 21. November, Guardini-Galerie, Askanischer Platz 4, Di.–Fr., 14–19 Uhr