: Die Ruhe nach dem Soulstorm
Dass er seinen Kopf in den Wolken trage, singt Patrice, Fachkraft für wunderbare Reggaemelodien, auf seinem neuen Album. Das kann man auch wörtlich verstehen: Der 28-Jährige pendelt zwischen New York, Paris und Köln. Nun tritt er in Berlin auf
VON DANIEL BAX
Zuletzt war es etwas ruhig geworden um Patrice, das Wunderkind der deutschen Reggaeszene. Drei Jahre hat er sich Zeit gelassen für sein aktuelles, viertes Studio-Album, „Free PatriAtion“, das ausgesprochen melancholische Töne anschlägt. „Ich habe versucht, stärker auszuwählen, was ich mache und was nicht“, sagt der 28-Jährige. Abgetaucht sei er aber nicht. Es sei nur „schwierig, in verschiedenen Ländern zugleich präsent zu sein“, gibt er zu bedenken.
Seit einiger Zeit schon pendelt Patrice mit seiner Lebensgefährtin, der Songwriterin Ayo, zwischen New York, Paris und Köln hin und her. „Wir sind viel unterwegs“, gibt der Musiker zu. „Trotzdem versuchen wir eine gewisse Routine zu entwickeln.“ Beruflich versucht Patrice in den USA nun auch musikalisch Fuß zu fassen. Und in Brooklyn wohnt er, weil ihm die multiethnische Neighbourhood dort so gut gefällt.
„Viele Leute dort kommen aus Europa“, hat Patrice festgestellt. „Das ist ein superinteressanter Mix.“ Der gemeinsame, dreijährige Sohn geht allerdings in Paris in den Kindergarten. Das soll aber nicht so bleiben, denn er solle nicht mit französischem Akzent aufwachsen. „Frankreich ist großartig“, lacht Patrice. „Aber der französische Akzent macht alles kaputt.“ Na ja, das kann man auch anders sehen.
Das Wortspiel, das im Titel seines neuen Albums steht, erinnert zum einen an die „Repatriation“ genannte Rückkehr befreiter Sklaven nach Afrika. In Sierra Leone, dem Geburtsland seines verstorbenen Vaters Gaston Bart-Williams, hatte diese zur Gründung der Hauptstadt Freetown geführt. Für Patrice, den in Kerpen bei Köln geborenen Kosmopoliten, ist Heimkehr aber an keinen bestimmten Ort gebunden. Ihm geht es eher um die innere Heimkehr, die Rückbesinnung auf sich selbst, in der für ihn die wahre Befreiung liegt.
Von solchen philosophischen Gedanken befrachtet, klingt sein neues Werk recht introvertiert, zuweilen fast ein wenig resigniert. Fast allen Songs auf „Free PatriAton“ haftet ein nachdenklicher Ton an – egal ob es nun um private oder globale Themen geht. Bislang hat Patrice ja fast alles erreicht, was es für einen 28-jährigen Musiker seiner Klasse zu erreichen gibt: Erfolg und Ruhm, ausgiebige Tourneen und viel Rummel um seine Person. Da stellen sich wohl zwangsläufig eine gewisse Gelassenheit und innere Ruhe, aber vielleicht auch Ernüchterung und sogar Demut ein. Es ist die Ruhe nach dem „Soulstorm“, den Patrice auf seinem letzten Album „Nile“ beschwor.
Der Star-Produzent Commissioner Gordon, der für Soul-Größen wie Lauryn Hill, Joss Stone, Alicia Keys und Amy Winehouse die Regler bediente, hat schon das letzte Album von Patrice produziert. Auf „Free PatriAtion“ nimmt er sich sehr zurück und setzt, mit wenigen Zutaten – hier mal ein Kinderchor, da ein paar Bläser oder ein unauffälliger Bassgroove – ein paar Akzente, welche die fragile Aura von Verletzlichkeit und Introspektion unterstellen. So kehrt Patrice sein Innerstes nach außen und stellt sein geniales Händchen für wunderbare Melodien unter Beweis.
Die Welt dreht sich eben, und manches kann man einfach nicht ändern, singt Patrice auf dem Opener „Clouds“, von dezenten Backgroundchören umweht. Dennoch trage er weiter seinen „Kopf in den Wolken“, bekennt er trotzig.
In dem Song, der auch schon als Single ausgekoppelt wurde, verrät er übrigens sein Erfolgsrezept. „I take the best words that come to my mind“ / The nicest melody that I can find / I write the greatest Song that I can write“. „Ich nehme die erstbesten Worte, die mir in den Sinn kommen / die schönste Melodie, die mir einfällt / und schreibe den größten Song, den ich singen kann“. Klingt so einfach. Ist aber große Kunst.
In „Is it me“ sinniert Patrice außerdem über die Liebe und die Frage, ob man in Beziehungen nicht häufig Wunschbildern nachhängt. Und „Justified“ ist, trotz der gefälligen Balladenform, ein bitterer Abgesang auf eine Beziehung, ja fast eine Abrechnung, während seine Zivilisationskritik in „Speeding into the Dark“, dem letzten Song des Albums, von seinen Zweifeln am Lauf der Welt kündet. „Dove of Peace“ letztlich, ein Stoßgebet für eine geschundene Welt, klingt ganz so, als wollte Patrice damit George W. Bush die Leviten lesen.
„Mir ging es nicht darum, Bush zu dissen“, erläutert Patrice. „Sondern mit der Politik, für die er steht, abzurechnen.“ Er stehe ja nicht allein mit seiner Enttäuschung über die Entwicklungen der letzten Jahre. Und klar, dass ihn die Aussicht auf einen US-Präsidenten Barack Obama elektrisiert. „Er motiviert mich und andere, sich wieder zu engagieren“, meint Patrice. Aber natürlich sei auch Obama am Ende des Tages nur ein Politiker, der viele Kompromisse schließen werden müsse.
Besteht trotzdem die Aussicht, dass mit einem „Change“ der politischen Großwetterlage sein kommendes Album wieder etwas optimistischer und fröhlicher ausfallen wird? Da muss Patrice wieder lachen. Ja, das kann schon sein.
Patrice: „Free PatriAtion-Tour“. Heute um 20 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36 (Achtung, das Konzert wurde verlegt!). Karten 28,90 €