: Kurdische Arbeiterpartei meldet sich zurück
Gewaltsame Zusammenstöße im Südosten der Türkei. Drohender Krieg gegen Irak könnte die Lage weiter verschärfen
ISTANBUL taz ■ Lange hatte es am letzten Samstag so ausgesehen, als würde die Demonstration gegen den Irakkrieg in Istanbul friedlich verlaufen. Am Ende zersplitterten aber doch Fensterscheiben, ein Bus ging in Flammen auf, über 40 Leute wurden festgenommen. Verursacher der Krawalle waren Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei Kadek – besser bekannt unter ihrem alten Namen PKK, die die Demonstrationen genutzt hatten, um ihre Verbitterung über die schlechte Situation ihrer Partei und ihres Chefs auszudrücken.
Lange hat die PKK sich zurückgehalten, doch seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, dass die Partei erneut versucht, sich gewaltsam Gehör zu verschaffen. Die „offizielle“ Begründung dafür ist die Isolation von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Seit drei Monaten verweigern die Behörden Anwälten und Angehörigen den Zugang zu „Apo“. Die Gründe sind immer die gleichen: Mittwochs, wenn die Anwälte Öcalans in Mudanya, von wo das Boot nach Imrali ablegt, auftauchen, wird ihnen gesagt, dass Wetter sei zu schlecht.
Die Isolation Öcalans wird in PKK-Kreisen von wachsender Wut begleitet, die sich bereits mehrfach wieder in bewaffneten Zusammenstößen entlud. So kam es vor drei Wochen nördlich von Diyarbakir, nahe des Ortes Lice, zu Gefechten, bei denen zwei Soldaten und mehrere PKKler starben. Vor den Friedensdemos am Wochenende war es in Städten im Südosten zu Ausschreitungen gekommen. Von Adana über Gaziantep bis Diyarbakir lieferten sich Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei. Im kurdischen Fernsehkanal Medya-TV, der von der PKK kontrolliert wird, wird bereits heftig über die Wiederaufname des bewaffneten Kampfes diskutiert.
Angesichts des bevorstehenden Irakkrieges könnte die Situation eskalieren. Ende Januar wurden die USA von Teilen der türkischen Presse angegriffen, weil sie angeblich zur PKK im Nordirak Kontakt aufgenommen hatten. Offenbar fürchtet der türkische Geheimdienst, dass sich die CIA bei ihren Bemühungen, die Kurden für den Krieg gegen Saddam Hussein einzuspannen, mit der PKK arrangieren könnte. Die türkische Armee will im Nordirak lieber selbst ihre Interessen durchsetzen. Auch um bei einem eventuellen Einmarsch in den Nordirak die PKK endgültig vernichten zu können, hatte der türkische Generalstab sich geweigert, seine Truppen einem US-Oberkommando zu unterstellen.
Die PKK befürchtet deshalb nun, ein Opfer des Krieges zu werden. Von der türkischen Armee bedroht und von den irakischen Kurden mit Misstrauen betrachtet, könnte sie sich zur Flucht nach vorn entschließen und ihr Heil erneut im bewaffneten Kampf suchen. Einige Scharmützel würden wohl ausreichen, die langsame Normalisierung in den kurdisch bewohnten Gebieten der Türkei zu beenden.
JÜRGEN GOTTSCHLICH