: Wasserwerfer gegen den Frieden
Polizeigewalt auf Friedensdemonstration, Mahnläuten oder 99 Luftballons gegen den Krieg im Irak. Norddeutschland protestierte eifrig und bekam keine Antwort auf die Frage, ob Krieg nicht auch Terror sei
von EIKEN BRUHN und EVA WEIKERT
Für die Stadt ist es ein Schock: Kinder fliehen in Panik vor prügelnden Polizisten und werden von Wasserwerfern zu Boden gerissen. Beamte mit Schlagstöcken kesseln Schüler ein und nehmen 145, darunter 13-Jährige, in Gewahrsam. „Ich habe gesehen, wie ein Mädchen von Polizisten in den Rücken geschlagen wurde und zusammenbrach“, berichtete später Schüler Timo Meincke der taz. Diese Szenen spielten sich am Montag, den 24. März 2003, in Hamburg nahe des US-Konsulats ab: Fast 30.000 Schüler gingen im Verlauf eines Schulstreiks gegen den Irak-Krieg auf die Straße, der fünf Tage zuvor von den USA begonnen worden war.
Die Großdemo bildete den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Märschen von Hamburger Schülern gegen die US-Attacke. Die Brutalität des Polizeieinsatzes gegen Kinder blieb ohne Beispiel. „Die Steine, die gegen Polizisten geworfen wurden, rechtfertigen weder das massive Aufgebot der Polizei noch ihr brutales Vorgehen“, empörte sich damals Lucy Redler von „Jugend gegen Krieg“. Auch in Polizeikreisen hielt man den Einsatz für fragwürdig. „Die Kräfte waren auf den Verlauf nicht vorbreitet“, sagte ein Polizeioffizier der taz. Das entpflichte Beamte aber nicht vom Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“.
Die Forderung der Opposition aus SPD und GAL nach Aufklärung wurden vom damaligen Innensenator Ronald Schill abgeschmettert. Und eine Anfrage der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über die Vorfälle am 24. März parierte Polizeisprecher Reinhard Fallak mit den Worten, „Die Jugendlichen kannten die Spielregeln nicht.“ Denn obgleich die Organisatoren die Demo offiziell aufgelöst hatten, blieben danach die meisten Teilnehmer vor dem US-Konsulat einfach stehen. „Ein Rechtsbruch“, so Fallak.
Aber nicht nur in Hamburg gingen tausende Menschen gegen den Krieg auf die Straße. In Schleswig-Holstein zogen eine Woche nach Kriegsbeginn rund 3.500 Schüler durch die Straßen Kiels. Schulleiter hatten für die Demonstration, die friedlich verlief, alle ab der 8. Klasse beurlaubt. Nur wenige Tage später folgte ein weiterer Friedensmarsch. In der Flensburger Innenstadt formierte sich am 4. April ein Protestzug aus mehr als 1.500 Jugendlichen. Auf Plakaten fragten die Schüler: „Ist Krieg kein Terror?“.
Sogar der Bundesliga-Verein SV Werder Bremen ließ es sich nicht nehmen, ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen. 99 Nena-mäßig weiße Gas-Luftballons wurden beim Spiel gegen Hannover 96 von Fußball-Profis und Kindern gen Himmel geschickt und der sonst gerne hyperventilierende Stadionsprecher verordnete den Fans eine Schweigeminute.
Aber es wurde nicht nur still protestiert. Am Tag X setzte ein Mahnläuten ein und die rund 6.000 Kids, die an diesem Tag demonstrierten, statt in die Schule zu gehen, zogen lärmend durch die Innenstadt. Für Aufruhr sorgte eine von Schüler vor laufender Kamera verbrannte US-Flagge sowie Pöbeleien gegen Grüne und SPD-Mitglieder anderer Demonstranten. Das autonome Anti-Kriegsplenum verteidigte hingegen das Vorgehen gegen die demonstrierenden Parlamentarier. Die „radikale Linke“ habe damit eigene Akzente gegen „das ganze Friedenswischiwaschi“ von Rot-Grün setzen wollen. „Die können doch nach dem Krieg in Afghanistan jetzt nicht als Friedenstauben auftreten“, so ein Mitglied des Anti-Kriegsplenums. Die Grünen konterten mit einem Offenen Brief: „Das habt ihr mit George W. Bush gemeinsam – den festen Glauben daran, dass ihr die Guten und die anderen die Bösen sind.“