: Favorit: Heilsbringer und Heißsporn
Der charismatische Jungpolitiker Michail Saakaschwili ist Führungsfigur der bisherigen Opposition in Georgien. Er wird die Wahl am Sonntag gewinnen
AUS TIFLIS KLAUS-HELGE DONATH
Ein zerrüttetes Wirtschaftssystem und flächendeckende Armut, Auslandsschulden in Schwindel erregender Höhe und ständige Furcht vor einer neuen Bedrohung der territorialen Integrität – das sind die Rahmenbedingungen, die die Politik der Schwarzmeerrepublik Georgien bestimmen. Und dies schon seit 1991, dem Jahr, in dem Moskau das Land am Südhang des Kaukasus widerwillig in die Unabhängigkeit entließ. Gelingt Georgien mit der Präsidentschaftswahl an diesem Wochenende der Neuanfang?
Auf weltpolitischer Bühne gilt Georgien manchem als Musterbeispiel eines Failing State, eines Gemeinwesens, dem es nicht gelingt, ein Minimum an staatlicher Konsolidierung zu sichern. Eines der größten Hemmnisse: die allgegenwärtige Korruption. Nach Angaben der Organisation Transparency International zählt das Land zu jenen Staaten, die am stärksten von Bestechung und Vetternwirtschaft betroffen sind.
Wer sich in Georgien um das Amt des Prasidenten bewirbt, muss also mehr mitbringen als Mut und guten Willen. Mehrere Kandidaten stehen zur Wahl, aber nur einer strahlt die Souveränität aus, diesen Kraftakt meistern zu können: Der 37-jährige Michail Saakaschwili gilt als Favorit, nachdem er Eduard Schewardnadse, den langjährigen Präsidenten, im November zum Rücktritt genötigt hatte.
Ein Etappenziel hat die ehemalige Opposition bereits erreicht. Die amtierende Präsidentin Nino Burdschanadse und Staatsminister Surab Schwania, ebenfalls Frontfiguren der Rebellion, stellten persönliche Ansprüche zurück und einigten sich auf Saakaschwili als gemeinsamen Kandidaten. Der charismatische Jungpolitiker könnte sogar im ersten Wahlgang gewählt werden. Das Volk feiert ihn als Heilsbringer. Allein 70 Prozent der Rentner wollen ihm ihre Stimme geben.
Saakaschwili genießt seine enorme Beliebtheit, die er nicht zuletzt populistischen Verheißungen verdankt. Mal versprach er, die abtrünnige Republik Abchasien mit Gewalt zurückzuholen, ein andermal drohte er, den Autonomiestatus der ethnischen Minderheiten aufzuheben. Drohgebärden, die im Falle der Umsetzung Georgien als Staat von der politischen Landkarte tilgen könnten.
Je näher die Wahl aber rückte, desto vorsichtiger trat der Heißporn auf. Von gewaltsamer Rückeroberung Abchasiens ist inzwischen keine Rede mehr. Man wolle die Abchasen überzeugen, dass es sich lohne, in den Staatsverband zurückzukehren, sagt Saakaschwili, der nach dem Studium in Kiew in den USA an der Columbia University noch ein juristisches Aufbaustudium absolvierte. Frühere Wegbegleiter halten das nicht für einen bloßen taktischen Schritt. „Saakaschwili ist kein Nationalist, er will die sozialen Probleme lösen“, meint Dato Surabischwili vom liberalen Thinktank „Liberty Institute“ in Tiflis. Allerdings könnten Surab Schwania und Nino Burdschanadse dazu beigetragen haben, dass der Kandidat nun eine moderatere Tonart anstimmt.
Schwania steht in dem Ruf, ein Meister des Kompromisses und ein virtuoser Strippenzieher hinter den Kulissen zu sein. Auch die amtierende Präsidentin Burdschanadse gilt als geschickte Konsenspolitikerin. Beide zählten, wie auch Saakaschwili, bis vor drei Jahren noch zum engeren Kreis um Schewardnadse. Im Falle eines Sieges Saakaschwilis soll Schwania Premierminister und Burdschanadse Parlamentspräsidentin werden.
Zumindest ein verhaltener Optimismus ist in fast allen Schichten zu spüren. Gerade die gut ausgebildete jüngere Elite Georgiens setzt ihre Hoffnungen auf die neue Staatsführung. Dies ist ein Novum, nachdem in den letzten Jahren Hunderttausende das Land auf der Suche nach einer Existenz verlassen haben.
Wird es der neuen Führung aber gelingen, die Macht der Sippen und Clans einzudämmen? Der kriminalisierte Staatsapparat sicherte dem traditionellen Multi-Clan-System bisher großen Handlungsspielraum. Die Polizei soll daher als erste Institution reorganisiert werden.
Schwania kündigte auch eine Umstrukturierung des Regierungssystems an, die das Parlament gegenüber dem Präsidenten mit mehr Kompetenzen ausstatten soll. Tinatin Chidaschwili, eine junge Menschenrechtlerin und Anwältin, warnt allerdings vor Eingriffen in die Verfassung. Sie vermutet dahinter schon wieder Absichten, die Rahmenbedingungen auf die Bedürfnisse der ambitionierten Führungstroika zuzuschneiden. Ansonsten müsse die Zeit für einschneidende Reformen aber genutzt werden, solange die Führungsriege volles Vertrauen bei den Wählern genieße.
Der Wandel in Georgien könnte aber blockiert werden durch die Einflussnahme Moskaus. Bislang hat Russland in der Kaukasusrepublik mitregiert und dazu beigetragen, dass sie nicht zur Ruhe kommt. Die imperialistisch gesinnte Elite im Kreml will sich mit der Eigenstaatlichkeit des Landes nicht abfinden und missbraucht die ethnischen Autonomien als Druckmittel gegen Tiflis. In Adscharien, Südossetien und Abchasien stehen russische Truppen, als Friedenskontingente getarnt. Trotz internationaler Vereinbarungen weigert sich Moskau, Militärstützpunkte in Georgien zu räumen. Südossetien und Abchasien nehmen an den Wahlen gar nicht erst teil. Der adscharische Präsident Aslan Abaschidse gab den Widerstand gegen die Wahl zunächst auf. Dann erklärte er, seine Partei beteilige sich nicht an den Vorbereitungen, und unterbreitete zugleich dem hörigen Volk: Die neue Macht in Tiflis habe einen Anschlag gegen ihn geplant. Der Bürger in dem autoritären Scheichtum wird die Botschaft erhalten haben: besser nicht wählen. Wer aber hat sich dieses Szenario ausgedacht?