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Archiv-Artikel

Der Mann von der Plattenfirma

Auf den Jazz-Bühnen der 1960er Jahre wurde weniger lustvoll improvisiert als vielmehr hart gearbeitet. Das legen zumindest die Fotos aus der Kamera des langjährigen Musikmanagers Siggi Loch nahe, die derzeit in Hamburg zu sehen sind

Diesen Fotos zu Folge war es kein Spaß, als schwarzer US-Musiker in den 1960er Jahren in Europa aufzutreten. Da ist der Pianist Errol Garner, 1962 in Amsterdam hinter einem Flügel – traurig dreinblickend. Dann kommen Cannonball Adderley und Yusef Lateef, 1963 in Baden-Baden – dem Gesichtsausdruck nach ebenfalls mäßig gelaunt. Sehr ernst schaut auch auch der Bläser Leo Wright drein, aufgenommen 1962 in Hannover. Und der Schlagzeuger Kenny Clarke, 1964 in Hamburg, hält sich die Stirn und stützt sich auf seine Sticks – so genervt wie müde.

Zu sehen sind alle diese Bilder in der Fotoausstellung „Love of my life“ in den Hamburger Deichtorhallen. Es sind Fotos, die fast ausschließlich Musiker bei der Arbeit zeigen. Ziemlich unverbindlich. So gut wie nie blickt einer der Abgelichteten direkt in die Kamera. Vielleicht auch, weil die Fotos immer dieser Siegfried Loch gemacht hatte. Von dem nämlich erwartete damals keiner das Fotografieren: Loch war als Mann von der Plattenfirma mit dabei. Nicht als Fotograf.

Loch startete seine Karriere als Labelmanager Jazz und Produzent für die Plattenfirma Phonogram in Hamburg. Das war 1962, Loch war 22 Jahre alt und produzierte erstmal Klaus Doldinger. 1971 war Loch Gründungsmitglied von Wea-Music Hamburg – später: Warner Music Germany –, produzierte unter anderem Marius Müller Westernhagen und wurde 1983 schließlich Europa-Chef von Wea.

Damals gab es noch keine Digitalisierung, keine Downloads – und Loch verdiente viel Geld. So viel, dass er 1988 bei Wea aufhören konnte, um sich seiner eigentlichen Leidenschaft widmen zu können: dem Jazz. Mittlerweile ist er 68 Jahre alt und lebt am Starnberger See bei München. 1992 gründete er das Jazz-Label Act, das inzwischen zu den wichtigsten unabhängigen Labels seiner Sparte gehört.

All die Jahre hindurch hat Loch Fotos gemacht und das sind natürlich in erster Linie die Fotos eines Fans, der näher ran darf als die anderen Fans. Es sind Bilder, die etwas festhalten wollen. Ohne Kalkül, dafür mit soliden handwerklichen Fähigkeiten. Magic Moments sind diese Bilder wohl nur für Loch selbst – für alle anderen Betrachter bieten sie eher kleinteilige Erkenntnisse. Zum Beispiel die, dass das Touren für die Musiker in ihren Anzügen harte Arbeit war. Dass sich Cannonball Adderley und Yusef Lateef gewundert haben müssen über die Fernsehkulisse, eine gefaltete Papp-Wand mit ihrem Namen drauf. Dass es in Lochs Reigen der tourenden Jazzgrößen nur eine Frau gibt – Ella Fitzgerald, fotografiert in Hannover im Jahr 1959. Dass inmitten der ernsten Gesichter der schwarzen Musiker gute Laune nur anzutreffen ist bei der deutschen Beat-Band The Rattles, bei deren britischen Kollegen The Searchers – und bei Klaus Doldinger, der mit blonder Perücke und Sonnenbrille den Paul Nero gibt. Und dass Little Richards in Hamburg 1963 vor einer sehr schrägen, auf den Bühnenhintergrund gemalten Manhattan-Kulisse auftrat – und sich im Lauf des Konzertes das Hemd vom Oberkörper riss.

Außerdem gibt es einige neuere, farbige Bilder, von denen vor allem die des Esbjörn Svensson Trios (E.S.T.) interessant sind. Dieses großartige schwedische Jazztrio hat Loch zu internationalem Erfolg geführt. Außerdem hat Loch E.S.T.-Pianist Esbjörn Svensson in den 90er Jahren fotografiert, als jungen Künstler mit Stirnband und großer Vertrautheit zu einem seiner Mitmusiker. Mittlerweile ist Svensson tot, er starb im vergangenen September bei einem Tauchunfall.

Die Geschichte lässt einen Lochs Fotos mit anderen Augen sehen, keine Frage. Das gilt auch für den Rest der Ausstellung: Man muss wohl die Geschichten zu den Bildern kennen – erst dann werden sie interessant. KLAUS IRLER

bis 9. November, Hamburg, Deichtorhallen