: Recht auf Sprache statt Zwang
Hans H. Reich, Professor für deutsche Sprache an der Uni Landau und Vorstandsmitglied des Rats für Migration, über die Verunsicherungen in der deutschen Sprachenpolitik
taz: Die Integrationskurse sind nach dem BVG-Urteil auf Eis gelegt. Unglück oder Chance?
Hand H. Reich: Die Einführung von Integrationskursen war eine richtige Grundentscheidung, weil damit deutlich gemacht wurde, dass der Staat stärkere Verantwortung für das Deutschlernen übernimmt, verbunden mit der Vorstellung, dass es nicht nur um Sprache als Mitteilungsinstrument, sondern auch um das Verstehen der Gesellschaft geht. Dass Probleme entstehen würden, war allerdings von vornherein absehbar: etwa aufgrund des zu geringen Kursumfangs und der mangelhaften Abstimmung der Kurse untereinander. Insbesondere aber ist zu kritisieren, dass die geplanten Kurse nicht in ein Verhältnis zum allgemeinen Bildungssystem gebracht wurden. Hier könnte als Beispiel Schweden dienen, wo positive Erfahrungen mit einem Sprachförderkonzept gemacht wurden, das mit den Bildungsangeboten vom Elementarbereich bis zur Berufs- und Erwachsenenbildung abgestimmt ist.
taz: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Da bin ich skeptisch. Wir stehen ja jetzt vor einem Scherbenhaufen. Eigentlich könnte man die Zeitspanne, die durch den verpassten Neubeginn entstanden ist, nutzen, um die Curriculum-Entwicklung voranzutreiben und über Chancen und Risiken der zentralistischen Lösungen in der Sprachförderung zu sprechen. Aber leider dominiert die Parole: Wenn schon nichts Neues kommt, dann machen wir einfach weiter wie vorher.
Die deutsche Sprache hat in der Vergangenheit immer wieder als Spielball in der Einwanderungsdebatte gedient. Woher kommt diese Verkrampftheit in der Sprachenpolitik?
Hierzulande wird ständig davon gesprochen, dass Migranten Deutsch lernen müssten – gerade so, als ob sie es gar nicht wollten. Flüchtlinge wiederum sollen möglichst kein Deutsch lernen, und Kinder sollen erst nachziehen dürfen, wenn sie schon Deutsch können. Schaut man nach Frankreich, dann ist dort von einem „Recht auf Sprache“ die Rede. Dies ist die richtige Haltung, denn dahinter steht eine Rechtsvorstellung und keine Zwangsvorstellung wie in Deutschland. Letztere verdankt sich dem verkorksten Selbstbewusstsein der Deutschen und ihrer Schwierigkeit, mit nationalen Symbolen, zu denen auch die Sprache gehört, umzugehen. Hinter der Forderung, alle müssten Deutsch sprechen, verbirgt sich ein assimilatorischer Gedanke, der mit dem deutschen Umgang mit Fremdheit zusammenhängt.