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Archiv-Artikel

So müssen Sie umschalten!

von MARKUS MÜNCH und STEFFEN GRIMBERG

Die Zukunft des Fernsehens liegt in Berlin. Und sie ist digital: In der Nacht von Freitag auf Samstag schalten die meisten Sender in der Hauptstadtregion ihre bisherige analoge Ausstrahlung über Antenne ab. Nur ARD, ZDF und die örtlichen Dritten senden auf wesentlich schwächeren Sequenzen noch bis zum Sommer weiter. Dann ist auch bei denen Schluss. Wer sich nicht wappnet, sieht schwarz. Und wer ohnehin schon schwarz sieht? – Die taz sagt Ihnen, was zu tun ist.

1. Stellen Sie erst mal fest, woher Ihr Fernsehgerät sein Programm empfängt.

Wie das geht? „Ganz leicht“, schreibt Ihnen Hans Hege, Direktor der fürs Umschalten zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB): „Bei Kabel- oder Satellitenempfang haben Sie zumeist 30 und mehr Fernsehprogramme, bei Antennenempfang sind es bisher höchstens 11.“ (Aber alle mitzählen: Für Hans Hege ist nämlich auch Neun Live oder QVC ein Fernsehprogramm). Betroffen sind nur die, die ihr Programm über Antennen empfangen.

2. Sie wohnen in Flensburg, München, Stuttgart oder Dresden und meinen, das ginge Sie gar nichts an, weil nur in Berlin umgeschaltet wird?

Sie sitzen einem verzeihlichen Irrtum auf: Berlin ist nämlich das Testgebiet für ganz Deutschland, in dem sich ab 1. März entscheidet, wie demnächst auch bei Ihnen das Fernsehen funktioniert. Denn wenn hier das terrestrische digitale Fernsehen floppt, könnte der Empfang per Antenne ganz aussterben. Und Sie wären gezwungen, künftig für einen Kabelanschluss zu zahlen, in eine Satellitenanlage zu investieren – oder auf Ihre Lieblingsbeschäftigung zu verzichten.

3. Planen Sie mehr Zeit fürs Fernsehen ein.

Digital können Sie per Antenne viel mehr Sender empfangen als heute. Vereinfacht ausgedrückt reicht der „Platz“ eines analogen TV-Programms dank Digitaltechnik nämlich künftig für bis zu vier Fernsehkanäle.

4. Schaffen Sie Platz zwischen TV-Gerät und Videorekorder.

Damit Ihr Fernsehgerät die digitale Botschaft „verstehen“ kann, benötigen Sie eine Übersetzungshilfe. Diese Maschine heißt Set-Top-Box, was nichts anderes meint als „Kiste, die oben auf den Fernseher stehen kann“ („Box on top of the televisionset“), aber bei der Bauart der meisten TV-Möbel eher unter dem Fernseher verschwindet. Ganz anschaulich hat eine Firma ihren DVB-T-Dekoder „DigiPAL“ genannt. Das klingt auch ein bisschen nach Freund (engl. „pal“), drückt aber eigentlich aus, dass hier ein digitales Signal für den hiesigen Farbfernsehstandard PAL umgewandelt wird.

5. Heben Sie mindestens 200 Euro von Ihrem Konto ab.

Denn „DVB-T-Zusatzgeräte sind unter 200 Euro im Handel erhältlich“, erklären die Umstellverantwortlichen und Sender. Was eben dieser Handel mit einem Standardpreis von 199 Euro übersetzt hat. Für die derzeit billigste Box sind mindestens 150 Euro anzulegen. Für Ihren Videorekorder oder den Zweitfernseher in Küche, Kinder- oder Schlafzimmer brauchen Sie jeweils eine eigene Set-Top-Box. Dass schon rund 60.000 Geräte verkauft sind, bezeichnet Sascha Barkarinov von der MABB aber nur teilweise als Erfolg: „Das ist mehr als erwartet, aber es müssen ja alle umsteigen.“

6. Sie können sich aber auch überlegen, angesichts solcher Summen in eine Satelliten-Anlage oder einen Kabelanschluss zu investieren.

Eine wenig empfehlenswerte, weil bald technisch veraltete analoge Ausrüstung ist schon für unter 50 Euro zu haben. Für die zukunftsträchtige digitale Lösung sind ebenfalls rund 200 Euro zu investieren – allerdings haben Sie dann die Möglichkeit, hunderte von Programmen aus aller Herren Länder zu empfangen. Oder Sie entschließen sich doch zum – bislang überwiegend analogen – Kabelfernsehanschluss (Monatsmiete ca. 15 Euro für bis zu 35 Programme).

7. Dass mindestens 150 Euro für eine Set-Top-Box für manche Haushalte ein bisschen viel ist, sieht auch der Staat ein.

Schließlich übernehmen die Sozialämter bei entsprechend Bedürftigen auch die Rundfunkgebühren. Doch nicht jeder, der hierfür einen Befreiungsbescheid vorweisen kann, bekommt automatisch auch den Dekoder finanziert. Lediglich „dauerhaft von Sozialhilfe Lebende“ erhalten – auf Antrag – einen entsprechenden Berechtigungsschein beim Sozialamt.

8. Lernen Sie auf jeden Fall auch gleich ein paar technische Vokabeln und neue, spannende Abkürzungen, bevor Sie ihre Set-Top-Box kaufen gehen.

Terrestrisch zum Beispiel bedeutet, dass Sie ihre Programme über eine klassische Haus- oder Zimmerantenne empfangen. Und die Buchstaben DVB stehen für Digital Video Broadcasting, zu Deutsch digitales Fernsehen. Das digitale TV-Signal kommt dann entweder per Antenne (siehe oben), durch das Kabelfernsehnetz oder mittels Satellitenschüssel zu Ihnen. Deshalb spricht man auch von DVB-T (für Antenne), DVB-C (für Cable) und DVB-S (für Satellit). Wenn Sie in die neue Technik investieren, müssen Sie übrigens keine Angst haben, in eine technische Sackgasse zu investieren: DVB hat sich beinahe weltweit als technischer Standard für digitales Fernsehen durchgesetzt. Nur die USA und Japan setzen zum Teil auf andere Systeme.

9. DVB-T klingt für Sie eher nach der Turnergruppe des Deutschen Volleyballverbandes?

Stimmt. Deswegen reden die Vermarkter auch lieber vom „Überallfernsehen“, was bedeutet, dass man theoretisch auch unterwegs fernsehen könnte. Aber was nützt schon ein TV-Gerät beim Joggen oder Autofahren? Immerhin lässt sich „Überallfernsehen“ besser an die rund 150.000 betroffenen Haushalte in Berlin und Brandenburg verkaufen als krude Abkürzungen.

10. Ganz schön viel Aufwand für so wenig Leute, finden Sie?

Sie haben Recht. Wobei die Schätzungen – genaue Zahlen hat niemand – für Berlin wahrscheinlich zu niedrig angesetzt sind. Von nur noch sieben Prozent terrestrisch versorgter TV-Haushalte geht die MABB aus. In München und Hamburg hängen noch deutlich mehr Menschen an der Antenne (rund 18 bzw. 16 Prozent). Außerdem weiß niemand, wie viele Menschen an der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) vorbei fernsehen.

11. Wenn Sie selbst zu den üblichen Schwarzsehern gehören, denen weder Zeugen Jehovas noch die GEZ-Missionare bislang etwas anhaben konnten: Ruhe bewahren.

Und die verschiedenen Telefon-Hotlines zur Umschaltung sauber auseinander halten: bloß nicht (01 80) 5 01 65 65 wählen. Denn das kostet 12 Cent die Minute – und ist die Service-Nummer der GEZ (Eigenwerbung: „Wir finden jeden“). Dann schon lieber (0 18 02) 32 39 99. Denn hier ist man mit sechs Cent pro Anruf dabei – und hat den verständnisvollen Infodienst des „Überallfernsehens“ am Apparat: Nein, beruhigt die Stimme am anderen Ende der Leitung den sich als bekennenden Schwarzseher ausgebenden Anrufer, natürlich müsse man beim Kauf einer Set-Top-Box nicht nachweisen, dass man Rundfunkgebühren zahlt: „Sie können einfach in ein Geschäft gehen und sich ein Gerät holen. Das ist kein Problem. Da werden sich die Verkäufer hüten, nach einer GEZ-Nummer zu fragen. Sie können doch auch ein Auto kaufen, ohne einen Führerschein zu haben.“