: Quäle nie ein Tier zum Scherz
Denn es spürt wie du den Schmerz: Jeremy Rifkin beschwört eine Zeitenwende im Verhältnis von Mensch und Tier
Nichts bleibt, wie es ist, prophezeit Jeremy Rifkin, im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Der Präsident der Foundation on Economic Trends in Washington sieht die einst von Descartes postulierte Trennung zwischen denkenden und fühlenden Menschen einerseits und den als „Wesen ohne Seele“ abgestempelten Tieren andererseits aufgehoben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen in der italienischen politischen Wochenzeitschrift L’Espresso sind jüngere Forschungsergebnisse, die Tieren eine enorme Bandbreite der Emotionen attestieren.
Da sind die Schweine, die in Depression verfallen, wenn sie in Isolation gehalten werden. Da sind Raben, die auf den ersten Blick ein Stöckchen auswählen, weil es krumm ist und deshalb besser geeignet als ein grades, um Fleisch aus einem Rohr zu pulen. Diese Raben biegen sich später sogar selbst die Stöckchen krumm. Und da sind Gorillas, die eine Zeichensprache mit mehr als tausend Wörtern erlernen und bei Intelligenztests mit einem IQ von 75–90 abschneiden.
Doch Tiere können nicht nur Wissen erwerben, sie sind auch zu Selbstbewusstsein fähig: Delfine erkennen sich im Spiegel, und ein Orang-Utan nutzt den Spiegel, um sich die Zähne zu reinigen, während ein Artgenosse zum Spiegel greift, um endlich die ihm sonst verborgenen Körperzonen zu studieren. Selbst das Bewusstsein vom Tod, der eigenen Endlichkeit, sei Tieren nicht verschlossen, behauptet Rifkin. So hielten Elefanten oft tagelang Wache bei gestorbenen Artgenossen und berührten sie immer wieder mit ihrem Rüssel.
Rifkin knüpft das an die Frage, ob nicht auch jene Eigenschaften, auf die wir bisher als vermeintliche Exklusivität der Spezies Mensch so stolz waren, schon weit vorher in der Evolution angelegt waren. Und ob deshalb nicht die Menschen ihr Verhältnis zur Tierwelt revolutionieren müssten. Menschlicher Fortschritt, so Rifkin, messe sich weniger in der Wissenschaft, der Technologie oder der Ökonomie denn in unserer Fähigkeit zur Empathie – der Fähigkeit, uns in die Leiden anderer Wesen hineinzuversetzen, weil wir sie als Weggefährten wahrnehmen.
Zug um Zug habe sich die Empathie von der Familie und der Sippe auf größere Einheiten ausgedehnt: auf Gruppen, denen man sich religiös, national oder ideologisch verbunden fühle. Im 18. Jahrhundert seien die ersten humanistischen Vereinigungen entstanden – und mit ihnen der Gedanke, dass Empathie unterschiedslos allen menschlichen Wesen zu gelten habe. Jetzt beginne „eine neue Phase in der Reise der Menschheit, die uns erlaubt, unsere Empathie auszudehnen und zu vertiefen“ – eben jenen Wesen gegenüber, die zu Einsicht, zu tiefen Gefühlen, zu Selbstbewusstsein fähig sind, ganz genauso wie wir.
Pikanterweise wurden die zitierten Studien von Fast-Food-Konzernen in Auftrag gegeben, „die allerdings über die Ergebnisse nicht sehr erfreut sein dürften“, kommentierte das Online-Magazin „Perlentaucher“.
MICHAEL BRAUN