: Ver.dis vorzeitiger Vorstoß
Ver.di-Mann Burkhard Thiemann hat angedeutet, was viele denken: Lohnverzicht für weniger Arbeit. Dafür erntet der Gewerkschafter Kritik in den eigenen Reihen. Bis morgen hätte er schweigen sollen
von RICHARD ROTHER
Der Vorstoß des Ver.di-Tarifexpertern Burkhard Thiemann zu einem Kompromiss bei den Tarifverhandlungen ist in den eigenen Reihen auf Unmut und Kritik gestoßen. Der Kompromiss, den Thiemann am Wochenende auf dem PDS-Parteitag vorgestellt hatte, sei nicht abgesprochen gewesen, hieß es gestern bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Auf Distanz gingen auch GEW und GdP.
Thiemann hatte vorgeschlagen, Arbeitszeit, Altersversorgung und Weihnachtsgeld künftig in Ost und West anzugleichen. Dafür bieten die Gewerkschaften an, auf monetäre Lohnerhöhungen zu verzichten. Im Tausch sollen die Beschäftigten weniger arbeiten. Dieser jetzt auf Kritik gestoßene Vorstoß ist allerdings so neu nicht: Schon nach der ersten Tarifrunde hatten sich die Gewerkschaften grundsätzlich auf die Formel „Weniger Arbeit für gleichen Lohn“ eingelassen.
Die Kritik, die Thiemann in den eigenen Reihen erntet, bezieht sich weniger auf den Inhalt als auf die Form. „Wir haben ja auch bei Innensenator Körting kritisiert, dass wir seine Vorschläge über die Medien erfahren haben“, sagt ein Ver.di-Funktionär. „Das ist eine Frage des Stils.“ Die Partnergewerkschaften GEW und GdP seien wenig erfreut gewesen über die Vorstöße vom Wochenende.
Die Tarifverhandlungen für rund 100.000 Berliner Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst werden am Mittwoch fortgesetzt. Gestern saßen die Gewerkschaften noch einmal zusammen, um ihre Linie abzustimmen. „Fest steht, dass wir morgen unsere Vorschläge präsentieren“, so Ver.di-Sprecher Andreas Splanemann. Einzelheiten könne er nicht nennen.
Der Ver.di-Verhandlungsführer Roland Tremper betonte, es könne „befristet einen eigenen Weg für das Land Berlin“ geben, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Tremper ließ jedoch durchblicken, dass das Angebot im Wesentlichen die von Ver.di-Sekretär Thiemann bereits am Wochenende genannten Bedingungen enthält, „ohne inhaltlich voll identisch zu sein“. Danach würden die Gewerkschaften Arbeitszeitverkürzung statt Lohnerhöhung akzeptieren.
Bisher hatten die Gewerkschaften auf der Übernahme des in Potsdam ausgehandelten bundesweiten Tarifabschlusses mit einem Volumen von 4,4 Prozent bis 2005 beharrt. Die separaten Tarifverhandlungen für Berlin waren nötig geworden, nachdem der Senat aus den bundesweiten öffentlichen Arbeitgeberverbänden ausgestiegen war, um die Potsdamer Tarifsteigerungen nicht zahlen zu müssen. Statt dessen will der rot-rote Senat jährlich rund 500 Millionen Euro bei den Personalkosten einsparen.