: „Mit der Macht umgehen“
Die Diplompsychologin Dr. Alexandra Seeger therapiert Arbeitgeber mit Einstellangst
taz: Frau Seeger, offenbar zögern viele Arbeitgeber, neue Mitarbeiter einzustellen, weil diese Überlegung bei ihnen Angst auslöst. Was ist das für eine Angst ?
Alexandra Seeger: Nun, zunächst handelt es sich gar nicht um Angst, sondern um Furcht. Die aber schlägt leicht in Angstzustände um, und das muss man auf jeden Fall ernst nehmen.
Erklären Sie das bitte genauer.
Arbeitgeber haben heutzutage kaum noch Rechte, und darunter leiden sie ohnehin schon sehr. Und jetzt kommt noch die Einstellangst – das ist der Fachbegriff – hinzu. Dabei ist der klassische Verlauf dieser: Der Arbeitgeber braucht mehr Personal. Zum Beispiel weil die Arbeit im Moment mit den bisherigen Angestellten nicht mehr zu schaffen ist.
Dann müsste es ihm doch gut gehen. Der Laden läuft.
Quatsch. Er müsste einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen.
Was ist daran schlimm?
Was, wenn es nicht mehr so viel zu tun gibt und ein Mitarbeiter überflüssig ist?
Sie meinen, wenn der Arbeitgeber keinen Zeitvertrag mit ihm abgeschlossen hat?
Nein. So blöde ist der nicht. Manchmal muss man sich schließlich auf eine Festanstellung einlassen.
Ach so.
Sehen Sie.
Dann sorgt er sich also, dass eines Tages das Geschäft nicht mehr gut laufen könnte?
Nein. Das befürchten doch alle. Jetzt seien Sie doch nicht begriffsstutzig! Wie Sie wissen, kann der Arbeitgeber ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr einfach jemanden auf die Straße setzen! Nicht den neuen Mitarbeiter, erst recht nicht einen älteren, er muss die Kündigung begünden – was glauben Sie, was das an Papierkram bedeutet, womöglich auch an Geld für eine Abfindung und ausstehende Löhne. Und dann erst der Zeitverlust wegen der Termine mit dem Anwalt und dem Arbeitsgericht und der ganze Ärger! Ich kann Ihnen sagen!
Sie kennen das?
Ja, ich hatte mal Schwierigkeiten mit meinem Vorzimmer.
Welche?
Das tut hier nichts zur Sache. Nächste Frage, bitte.
Frau Seeger, Sie sagen also, wenn ein Arbeitgeber nicht jederzeit jemanden kündigen kann, riskiert er Angstzustände?
Jetzt haben Sie es verstanden!
Und darum sieht es so schlecht aus auf dem Arbeitsmarkt?
Genau. Wer will schon seine Gesundheit gefährden? Und glauben Sie mir, mit Angstzuständen ist nicht zu spaßen. Da schlägt der Puls schneller, der Atem wird knapp, man kann nicht mehr schlafen – ganz, ganz grässlich ist das. Manche meiner Patienten würden glatt ihre Betriebsgröße verdoppeln, wenn sie nur könnten. Aber sie dürfen nicht einmal daran denken, und davon rate ich auch entschieden ab. Stellen Sie sich vor, Sie könnnten 20 Leute einstellen: Ein zwanzigfacher Angstzustand käme da heraus!
Das wäre ja furchtbar. Wie behandeln Sie Ihre Patienten?
Ich führe sie schrittweise an die Lösung heran. In mehreren Einzelsitzungen entdecken die Arbeitgeber, dass es Alternativen zur Angst gibt. Wir machen außerdem Rollenspiele in der Gruppentherapie, wo sich die Teilnehmer angstfrei gegenseitig feuern können. Das wirkt befreiend und entspannend. Manchmal reicht aber auch schon ein Mobbing-Wochenendseminar.
Das hilft?
Ja, manche Arbeitgeber müssen einfach nur wieder lernen, mit ihrer Macht umzugehen. Ein ehemaliger Patient von mir ist heute wieder ein erfolgreicher und gefürchteter Unternehmer, seitdem er die Gründung eines Betriebsrats verhindern konnte. Dem traue ich sogar zu, dass er noch in diesem Jahr eine freie Stelle besetzt.
Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen …
Herrgott, das weiß ich auch. Eine Stelle ist nur eine Stelle. Ich tue, was ich kann, aber für die Bekämpfung der Ursachen sind schließlich andere zuständig. Wenn zum Beispiel jeder Arbeitgeber drei Kündigungen pro Jahr freihätte, dann wäre damit schon viel erreicht.
INTERVIEW: CAROLA RÖNNEBURG