: „Die Kultur muss sich behaupten“
Müssen wir uns Sorgen machen? Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau in der Kulturlandschaft, sagt Christina Weiss. Die Kulturstaatsministerin über ihr Projekt, für die schwierigen Künste einzutreten und zugleich die Strukturen zu modernisieren
Interview GISELA SONNENBURG
taz: Brechts Anspruch, die Welt zu verändern, ist der noch wörtlich zu nehmen?
Christina Weiss: Das ist für mich ein Credo. Nicht jedes Kunstwerk kann auf jeden eine starke Wirkung ausüben, aber wenn es wirkt, kann es einen zugleich emotional und rational packen, weil man sich damit auseinander setzen muss. Dadurch verschiebt Kunst in jedem Fall die Weltsicht. Ein Song kann das genau so erreichen wie die Architektur einer Kathedrale. Das ist auch, was Brecht mit der Verfremdung gemeint hat: Einmal die Sicht verschieben – und dann kommt sie nie mehr ganz in die alte Spur zurück.
Dann ist Kunst Wahrnehmungstraining. Aber kann Kultur heute noch ernsthaft Visionen vermitteln? Anleitungen, wie die Gesellschaft zu gestalten sei?
Auf naive Weise geht das in unserer Kultur nicht mehr. Aber die Künste spielen immer eine wichtige Rolle, wenn es um großes Engagement geht. Im negativen Sinn, wenn jeder Diktator als Erstes die Kunst verbietet. Und im positiven: Nach wie vor werden politische Ereignisse durch Künstler begleitet. Ich fand unglaublich beeindruckend, wie sich die meisten der amerikanischen Berlinale-Gäste zum Irakkrieg geäußert haben, bis hin zum Vortrag von Dustin Hoffman. Das hatte doch etwas sehr Berührendes – und spricht gegen die Gleichgültigkeit, die man dieser Konsumwelt unterstellt.
Das kreative Element als das konstruktiv Kritisierende – da sind wir fast bei den Visionen?
Kunst macht, weil sie emotionale und gedankliche Grenzen überwindet, mutig und kritisch – und selbstkritisch. Sie erzieht zur Mündigkeit, ja zur Denkfähigkeit.
Kultur hat in diesem Sinn einen Bildungsauftrag. Sieht sich der Staat als dessen Hüter?
Deutschland ist durch sein föderales System ein besonderer Kulturstaat, weil wir eine dezentrale, blühende Kulturlandschaft besitzen. Die wird gehegt und gepflegt. Aber sie muss sich in der Härte der Zeit auch behaupten – gegen alle Angriffe. Und es gibt immer noch Menschen, die sagen, Kunst sei Luxus, den man sich nicht leisten kann, wenn es einem schlecht geht. Aber das ist ein falscher Schluss. Denn in Krisenzeiten muss man auf die kreativen Köpfe setzen. Uns ist schon klar, dass es nicht staatliche Aufgabe sein kann, das zu fördern, was an Kunst kommerziell ist. Sondern das, was an ihr sperrig ist, wo sie sich entwickeln muss, wo sie durch schlechte Zeiten durchmuss, um einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Wir vergeben Risikoprämien. Das ist die Aufgabe für Kulturpolitik: zu sagen, worum es geht, und dafür zu kämpfen. Um Geld zu kämpfen – und um Spielräume.
Spielräume können sich ausdehnen: Mit Frankreichs Kulturminister Jean-Jacques Aillagon verabredeten Sie eine stärkere Zusammenarbeit, vor allem im Bereich der Museen.
Der französische Kulturminister ist Kunsthistoriker und hat eine ähnliche Vergangenheit wie ich. Wir beide haben eine schnelle Kommunikation, verständigen uns leicht auf das, worauf es ankommt. Durch den Blick auf die EU-Erweiterung ist etwas entstanden, das über die rein politische Reflexion hinausgeht. Das ist auch etwas Emotionales, eine Annäherung an die Achse des alten Europa. Darüber freue ich mich: Museen werden länderübergreifend miteinander arbeiten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Pariser Musée d’ Orsay haben so einen Austausch beschlossen, werden wechselnde Schätze des Partner-Museums zeigen und im Zusammenhang der Kulturtradition erläutern.
Auch gen Osten gehen Sie auf Fühlung. Jüngst lief das deutsch-russische Kulturprogramm an, das über 350 Veranstaltungen in allen Sparten bietet. Schließt sich damit eine Lücke in den deutsch-russischen Beziehungen?
Es ist ein Wiederanknüpfen an eine Tradition, die durch den Eisernen Vorhang getrennt wurde. Mit dem, was jetzt geschieht, auch mit den neuen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland, wollen wir das gegenseitige Kennenlernen der jeweiligen Gegenwartskultur an den Anfang setzen. Damit wir miteinander reden und miteinander verhandeln in der Kenntnis dessen, was die Künste vermitteln: was die Menschen fühlen, was sie denken, welche Ideale sie haben. Das ist ein Baustein zur kulturellen Osterweiterung, die noch ganz am Anfang steht, wie es uns Hans-Christian Schmid in seinem Film „Lichter“ auf so eindringliche Weise vorgeführt hat.
Apropos Zugehen: In die Politik sollten, so wurde 1998 versprochen, die Intellektuellen stärker eingebunden werden. Vor einigen Wochen tagten Christa Wolf, Günter Grass und andere beim Kanzler, um sich gegen den Irakkrieg auszusprechen.
In dem Fall war es ein Freundeskreis des Kanzlers, und ich war beeindruckt, wie die Schriftsteller ihre Einschätzung, ihre Sicht beschreiben. Das ist für den Kanzler sicher noch wichtiger als für alle anderen: zu merken, es gibt Leute, die mit mir denken und die gegen mich zu denken wagen. Und es gibt nicht nur Leute, die etwas wollen oder fordern.
Das Hauptthema in der Kultur ist derzeit aber der Mangel an Geld. Hand aufs Herz: Müssen wir uns Sorgen machen?
Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau unserer Kulturgesellschaft. Wir haben auch hier mit dem Mut zu Reformen zu lange gewartet. Und die Not ist schnell bei den Kleinsten am größten. Ich plädiere dafür, dass man die Strukturen so reformiert, dass sie flexibler werden. Wir müssen gute Kunstproduktionen ermöglichen und gleichzeitig einen Apparat schaffen, der das Theater überleben lässt, ohne in die Schuldenfalle zu tappen. Die Zeiten, in denen man mit Geld Probleme zukleistern konnte, sind unwiderbringlich vorbei. Das ist eine seltsame Geschichte, dass das vierzig Jahre in der Bundesrepublik geklappt hat: Jedes Jahr war mehr Geld da. Aber das ist ein Automatismus, den man nicht fortschreiben kann.
Als Senatorin in Hamburg haben Sie vieles auf den Weg gebracht, was den Dialog zwischen Sponsoren und Künstlern betrifft. Und als Ministerin rangen Sie dem Kabinett ab, dass private Kulturgelder weiter steuerlich begünstigt sind. Gibt es dennoch Bereiche, die der Staat nicht aus der Hand gibt?
Der Staat muss sich dazu bekennen, dass er die kulturelle Grundversorgung garantiert. Also: Zugang zu allen Angeboten. Bestimmte Highlights oder Besonderheiten sollten dann durch private Partner ergänzt werden.
Und dann kann es Streit geben wie bei der Sammlung Flick, wo es um moralische, nicht um ästhetische Kriterien geht.
Der Streit begann in Zürich, und Friedrich-Christian Flick hat mit großer Verantwortung reagiert. Die Nachfolgeunternehmen der Firma Flick haben ja in den Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter eingezahlt. Aber es wurde von ihm, dem Enkel, verlangt, dass er als Privatperson entschädigt. Das hat er nicht getan. Er hat aber in Potsdam eine Stiftung gegen Hass und Intoleranz gegründet, die viel bewirkt. Und er hat die Kunst gesammelt, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch artikuliert, die die tiefsten Verwerfungen und den höchsten Jubel aufnimmt. Der Sammler Heinz Berggruen, der die Moderne einer Stadt zurückbrachte, aus der sie einst vertrieben wurde, hat die Flick Collection als Glücksfall bezeichnet. Es ist gut, dass wir die Flick-Sammlung ab nächstem Jahr in Berlin zeigen können.
Andere Sponsoren würden es laut dem Institut für Mittelstandsforschung begrüßen, wenn es Vermittlungsstellen zu Kulturproduzenten geben würde, bei den Finanzämtern angesiedelt.
(lacht) Das ist inhaltlich nicht realistisch, ausgerechnet Finanzbeamte zur Beratung für Kultursponsoring oder Spenden heranzuziehen. Aber ich halte sehr viel von dem Instrument der Vermittlung. Wir bauen deshalb allerorten Stiftungen auf, die genau diese Aufgabe wahrnehmen und sich wie Agenturen zur Vermittlung anbieten.
Eine Kultursteuer, frei nach Karl Kraus’ Idee einer Zwangsabgabe für Theater, ist utopisch?
So ein Modell zu entwickeln, wäre leichter und plausibler. Wir sorgen ja auch jetzt mit Subventionen dafür, dass es zum Beispiel Theaterkarten für zehn Euro gibt.
Es gibt greifbarere Neuerungen. So soll bis zur Sommerpause ein Gesetzesentwurf zur novellierten Filmförderung vorliegen. Was sind dessen Ziele?
Es ist unser oberstes Gebot, mehr Flexibilisierung in die Verteilung der Fördermittel zu bringen, zur Stärkung der kleineren Produktionsfirmen. Wir wollen die Referenzmittelförderung verändern, damit nicht nur der wirtschaftliche Erfolg eines Films zählt, sondern auch die kulturellen Erfolge: Einladungen zu Festivals, Preise. Das Ziel ist, dass flexibler gefördert wird, vor allem mit Blick auf Marketing und Abspielförderung. Damit produzierte Filme eine längere und besser unterstützte Begleitung haben.
Verlangt der Film als Massenmedium und Wirtschaftsfaktor besonderes Augenmerk? Allein die letzte Berlinale brachte 30 Millionen Euro nach Berlin, wovon 8 Millionen die Steuerkasse füllen.
Die Filmförderung zielt gerade auf die Erhaltung des Films als Kulturgut, um ihn nicht abhängig zu machen von reiner Kommerzialisierung.
Wie ist es mit Nischenkultur, mit soziokulturellen Projekten und mit „elitärer“ Hochkultur wie Oper und Ballett?
Ich glaube, dass diese Trennung nicht funktioniert. Es sind immer verschiedene Gruppen, die sich für einzelne Formen interessieren. Und es fällt in unsere Verpflichtung, die ganze Breite zu unterstützen, von der Privatfoto-Ausstellung bis hin zur Oper.
Die Berliner Opernstiftung soll die Effizienz der drei Häuser erhöhen, die Formierung des insolventen Musikrats als GmbH für Verantwortlichkeit sorgen. Zwingen solche Maßnahmen zu einer inhaltlichen Positionierung, die man bisher vermisste?
Es geht um Handlungsfähigkeit, um Planungsfähigkeit, um Visionstauglichkeit und um wirtschaftliche Effizienz. Ich bin eine Verfechterin auch der schwierigsten Künste – und ich verteidige die Modernisierung von Strukturen. Alte Zöpfe und neue Künste, das bringt sich gegenseitig um. Wir brauchen Kulturinstitutionen, die die Künstler einbeziehen. Ein als Behörde geführtes Theater erstickt jede gute künstlerische Produktion. Und ich würde am liebsten als Unternehmensberaterin von Theater zu Theater wandern.