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Archiv-Artikel

Jenseits vom Ende der Welt

Die lange Reise durch die ewige Weite ist immer auch eine Reise ins eigene Innere: Das B-Movie zeigt im Januar Roadmovies, die Auswahl ist aber nicht so naheliegend, wie das Genre vermuten lässt

von Eckhard Haschen

Bei dem Wort Roadmovie dürfte wohl fast jeder zuerst Easy Rider denken, dessen phänomenaler Erfolg im Jahr 1969 das Genre nach einer Reihe von Vorläufern erst endgültig auf der Leinwand etablierte. Sehr schnell fallen einem dann natürlich davon nicht unmaßgeblich inspirierte Wim-Wenders-Filme wie Alice in den Städten oder Bis ans Ende der Welt ein. Und natürlich Titel wie Wild at Heart oder Thelma & Louise, mit denen das Genre in den frühen Neunzigern eine Renaissance erlebte.

Dass das B-Movie bei seiner Reihe auf das Naheliegende setzen würde, kann man also wirklich nicht behaupten, zumindest nicht bei den ersten vier, im Januar terminierten Filmen, von denen immerhin drei bei uns einen Kinostart hatten und – jeder auf seine Weise – auch ein gewisses Aufsehen erregten.

Womöglich verknüpfen wir Roadmovies in unseren Köpfen so sehr mit filmischen Reisen durch nordamerikanische Landschaften, dass wir Filme, die an anderen Orten der Welt unterwegs sind, nur nicht so schnell unter diesem Begriff aus unserem Gedächtnis abrufen. Einen nicht nur seiner atemberaubenden Landschaftsaufnahmen wegen nachhaltig beeindruckenden Film wie El Viaje – Die Reise etwa. Wie in allen herausragenden Werken des Genres und ähnlich den großen Reiserzählungen aus der Literatur – ob nun die Odyssee, Laurence Sternes Sentimental Journey oder Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre – ist die weite äußere Reise, auf die Fernando E. Solanas seinen jugendlichen Protagonisten schickt, immer auch eine innere.

So führt der Film Martin, und durch dessen Augen auch uns Zuschauer, auf seinem mit vielen Abenteuern gepflasterten Weg durch mehrere Länder nicht nur das ernüchternde Bild eines geschundenen Kontinents vor Augen, es begegnen ihm auch bis dahin so noch nicht gekannte Formen von Einsamkeit, von Liebe, vom Unbekannten und nicht zuletzt des Phantastischen, welches Solanas gekonnt in surrealen Bildfolgen visualisiert.

Von Ushuaia, der südlichsten Stadt Feuerlands und der Welt aus bricht Martin also mit seinem Fahrrad auf, um seinen vor der argentinischen Militärjunta ins Exil geflohenen Vater zu suchen, der nun irgendwo in Mexico leben soll. Auf subtile Weise spiegelt Solanas in der Seelenlandschaft seines Helden die eines ganzen Kontinents.

Fast noch mehr als Solanas war Gus van Sant ein Jahr zuvor, 1991, in My Own Private Idaho an inneren Reisen seiner Helden interessiert. Für ein US-amerikanisches Roadmovie ungewohnt, kommt der Film – auch wenn es zuletzt nach Italien geht – nicht über die Grenzen des titelgebenden Bundesstaates hinaus. Und so hat die schnurgerade Straße, auf der der an Narkolepsie leidende Mike Waters (der schmerzlich vermisste River Phoenix in seiner wohl besten Rolle) zu Beginn des Films unterwegs ist, auch kein klar auszumachendes Ziel. Bei der Suche nach seiner Mutter, die vor allem eine sehr viel schwierigere Suche nach sich selbst ist, findet er in dem gegen seinen Vater rebellierenden Oberschicht-Spross Scott (Keanu Reeves) vorübergehend einen Bruder im Geiste. Aber wer wäre bei der Suche nach sich selbst je wirklich an einem Endpunkt angekommen?

Einen klaren Antrieb, von wo sie weg wollen, nämlich aus einem von Gewalt geprägten Milieu, haben die pistolenschwingenden Heldinnen in Virgine Despentes Baise-moi. Dieser pseudodokumentarisch angelegte, selbsternannte Skandalfilm um zwei Frauen, die sich immer mehr in ihren infernalischen Machtrausch hineinsteigern kam vor drei Jahren derart roh daher, dass es interessant sein könnte, zu sehen, ob dessen Halbwertzeit nicht vielleicht schon ziemlich weit abgelaufen ist – auch im Vergleich etwa zu Oliver Stones Natural Born Killers.

Fast ganz normal „on the road“ bewegt sich dagegen Instrument, Jem Cohens sich zu einer Collage aus Liveauftritten, Studiosessions, Interviews und eigenen Beobachtungen fügender Dokumentarfilm über das Schaffen der Band Fugazi in den Jahren 1987 bis 1997.

El Viaje – Die Reise: morgen, 20.30 + 23 Uhr, Sonntag 20.30 Uhr; Baise-moi (Vorfilm: Ich warte auf den Nächsten): 15.1., 20.30 Uhr, 17.1., 20.30 + 22:45 Uhr, 18.1., 20.30 Uhr; My Own Private Idaho (Vorfilm What About The Bodies): 22.1., 20.30 Uhr, 24.1., 20.30 + 22:45 Uhr, 25.1., 20.30 Uhr; Instrument: 29.1., 31.1. (Vorfilme: Rollo Aller, Teil 1 und 2), 1.2., jeweils 20.30