: Nachhaltige Irrtümer
Wenn die Grünen von Innovationen reden, klingt ihre alte Fortschrittsskepsis auf. Darum wird das humane und ökologische Potenzial neuer Technologien von ihnen oft verkannt
Ein ganzes Reformjahr lang lautete die Parole „Wachstum, Wachstum, Wachstum“. Die Verbilligung des Faktors Arbeit erschien als probates Therapeutikum, um dem Standort auf die Beine zu helfen. Während die SPD sich dabei allenfalls homöopathische Dosen zumuten wollte, verfuhren die Grünen nach der alten Regel: Je bitterer die Medizin, desto gründlicher die Heilung. Doch kaum hat nun der Bundeskanzler die Innovationspolitik auf die Agenda 2010 gesetzt, verkehren sich die Vorzeichen. Nun verziehen die Grünen angesäuert die Miene und warnen den Koalitionspartner vor einer ungebremsten Wachstumspolitik. Während sich die SPD mit ihrer Innovationsoffensive auf dem Weg ins 21. Jahrhundert wähnt, fühlt sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Reinhard Loske, dabei „an die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts erinnert“.
Man ist geneigt, angesichts Loskes Pose dieses Gefühl zu teilen. Die aktuelle Kritik an der Innovationspolitik der SPD atmet den Fortschrittsskeptizismus der frühen Jahre, als man die „Grenzen des Wachstums“ noch in greifbarer Nähe wähnte und die ganze ordnungspolitische Vorstellungskraft darauf verwandte, sich innerhalb dieser Grenzen einzurichten. Mittlerweile haben sich diese Grenzen als flexibel erwiesen, doch der regulative Impuls hat sich gehalten.
Zwar haben sich die Grünen mit den Erfordernissen der kapitalistischen Wirtschaftsweise arrangiert, zwar haben sie schneller als die Sozialdemokratie den Weg aus der nachfrageorientierten Arbeitnehmergesellschaft gefunden. Doch der Raum, den sie damit dem Schumpeter’schen Unternehmer, dem schöpferischen Zerstörer, gegeben haben, war ihnen unheimlich. Es entstand der Drang, sein innovatives Treiben an die normative Kandare zu nehmen. Wachstum ja, aber qualitativ soll es sein und eine nachhaltige Entwicklung garantieren.
Nun ist der ökologische zweifellos der stärkste Gründungsimpuls der Grünen. Zu seiner Pflege wird bis heute ein bisweilen fundamentaler Gestus an den Tag gelegt – Nachhaltigkeit wird als Kriterium verabsolutiert. Damit setzen sich die Grünen allerdings dem Verdacht aus, zugunsten eines partiellen Interesses das allgemeine zu vernachlässigen. Nicht von ungefähr befürchten sie nun, in die Ecke der Fortschrittsverweigerer gestellt zu werden.
Aus diesem Dilemma hilft den Grünen auch nicht ihr richtiger Verweis darauf, dass Ökologie eine beachtenswerte wirtschaftliche Größe geworden ist. Natürlich kann man damit schwarze Zahlen schreiben. Doch hat man mit dieser Erkenntnis den Komplex wirtschaftlicher Innovationen schon hinreichend erfasst?
Nachhaltigkeit ist kein falsches Kriterium zur Beurteilung innovativer Prozesse, doch es ist nicht ausreichend. Es ist hilfreich für eine Reihe innovativer Prozesse und Produkte, etwa im Energiesektor. Zur Beurteilung einer ganzen Reihe anderer allerdings ist es wenig bis überhaupt nicht tauglich – was etwa sagt Nachhaltigkeit über die Entwicklung neuer Netztechniken bei Mobiltelefonen? Die Geschichte der Informationstechnologie ist voll von Innovationen, doch die wenigsten lassen sich unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit hinreichend einordnen. Dabei waren sie für die Entwicklung der Produktivität und der Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren weit bedeutsamer als ökologische Innovationen.
Bezeichnenderweise standen die Informations- und Kommunikationstechnologien anfangs ebenfalls unter dem Bann der grünen Fortschrittsskeptiker. Schließlich traten sie unter der Hand in Fraktion und Partei ihren Siegeszug an – ohne dass dies zu einer selbstkritischen Reflexion des eigenen Verständnisses von Technologie und Fortschritt geführt hätte. Und so trifft man heute Bundesminister, die ihren Laptop so virtuos und lustvoll beherrschen wie einen Parteitag, doch in den Beschlussvorlagen, die sie damit tippen, findet das keinen Niederschlag.
Die Nichtverarbeitung dieser Erfahrung früher Technikfeindlichkeit führt dazu, dass die Grünen auch anderen innovativen Potenzialen, wie etwa der Nanotechnologie, Technik in winzigem Maßstab, oder den Life Sciences, den Gentechnologien, eigentümlich indifferent gegenüberstehen. Die eingleisige Festlegung auf Nachhaltigkeit verführt sie zu deren Geringschätzung, bevor sie die in ihnen liegenden (und möglicherweise sogar ökologisch nützlichen) Potenziale überhaupt hinreichend erfassen können.
Zur Innovation wird Wissen erst dann, wenn es zum Produkt oder Verfahren wird, das auf eine Nachfrage trifft. Politik darf den Wettbewerb über die beste Innovation nicht vorab entscheiden wollen. Denn auf dem Weg dahin bleiben in der Regel viele Entdeckungen auf der Strecke. Besser sind also Programme, welche zur Konkurrenz um die Förderung einladen und die Prozesse weitgehend in der Autonomie der Beteiligten belassen. Nicht Ergebnisse müssen vorgegeben werden, sondern Ziele.
Das Verständnis der Grünen von innovativen Prozessen unterstellt eine Steuerungsfähigkeit, die real nicht gegeben ist. In dieser verengten Vorstellung treffen sich die Grünen mit der SPD, die gleichfalls gerne der Illusion anhängt, Politik könne technologische Potenziale frühzeitig identifizieren und durch Subventionen in die gewünschten Bahnen lenken. Innovation ist ein Marktgeschehen. Lange Zeit interessierte man sich vor allem für die Bedingungen, unten denen Innovationen hervorgebracht wurden. In den letzten Jahren geriet allerdings zunehmend die Nachfrageseite in den Blick. Erst durch sie realisieren sich die wirtschaftlichen Effekte, die sich nicht nur der Bundeskanzler von Innovationen erhofft.
Vom Computer bis zum LCD-Bildschirm lässt sich eine Reihe deutscher Forschungen auflisten, deren wirtschaftlicher Nutzen zuerst von anderen Ländern realisiert wurde. Für den internationalen Wettbewerb ist entscheidend, wer die Position des Leadmarktes einnimmt. Und für diese Führungsrolle spielt die Offenheit einer Gesellschaft, ihre Neugierde und ihr Sinn für Experimentelles, eine wesentliche Rolle.
Doch diese Offenheit lässt sich nicht mehr als der blinde Technologieoptimismus der industriellen Moderne hervorbringen. Sie erwächst aus einem permanenten Wägen individuellen und wirtschaftlichen Nutzens und möglicher Risiken. In einem solchen Prozess lassen sich technologische Entwicklungen forcieren und Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen – und eliminieren. Diese offene Kultur fehlt der deutschen Innovationslandschaft.
Während die Wissenschaft sich um die dazu notwendige Transparenz ihres Tuns bislang wenig kümmerte und die Industrie sie im Zweifelsfalle eher gemieden hat, prägte die linke Politik das Bild eines vor unabsehbaren Risiken zu schützenden Bürgers. Würden die Grünen ihrem eigenen Leitbild des rationalen Universalisten folgen, wären sie prädestiniert, einen Wandel dieser Mentalitäten zu befördern.
DIETER RULFF