: Weser Kurier mit halber Power
60 von rund 100 RedakteurInnen der Weser Kurier-Gruppe streikten gestern – auch ohne sie, versicherte der Verlag, erscheine die Zeitung „wie gewohnt zuverlässig“
VON KLAUS WOLSCHNER
„Zuverlässig in gewohntem Umfang“ erscheine der Weser Kurier am heutigen Dienstag, teilte der Verlag der Bremer Tageszeitungen gestern Vormittag mit. Die Klarstellung war offenbar notwendig, denn morgens fehlten überraschend rund 60 der gut 100 Redakteure – sie waren auf der Protestversammlung im Gewerkschaftshaus. Ver.di und der Journalistenverband DJV hatten zur Teilnahme an dem bundesweiten Journalisten-Warnstreik aufgerufen. Im Anschluss an die Protestversammlung ging es nach Hannover – dort war die große Demonstration angesetzt.
Denn am heutigen Dienstag finden in Hamburg Tarifverhandlungen für 15.000 Zeitungsredakteure statt. „Die Verleger haben bisher kein ernst zu nehmendes Angebot auf den Tisch gelegt. Deshalb fordern die Redakteurinnen und Redakteure die Verleger auf, endlich eine konstruktive Rolle bei den Verhandlungen einzunehmen“, erklärten die beiden Gewerkschaften. Seit dem Zeitungs-Krisenjahr 2000 hätten die Redakteure „jahrelang bei den Gehaltserhöhungen starke Zurückhaltung geübt“. Nun aber verdienten die Verlage bereits im dritten Jahr wieder richtig Geld – die Forderung nach 7,5 Prozent mehr Gehalt sei daher „nicht unverhältnismäßig“.
Dass die Zeitungen, wie der Bremer Tageszeitungs-Verlag (Bretag) mitteilte, trotz Abwesenheit von mehr als der Hälfte der Redakteure „wie gewohnt zuverlässig und im normalen Umfang erscheinen“ werden, dürfte also etwas übertrieben sein. Zum Beispiel war das gesamte Büro Lilienthal gestern nicht zu erreichen – komplett auf Hannover-Fahrt. In den Regionalbeilagen dürfte sich das Fehlen der Redakteure am stärksten bemerkbar machen, für die bundesweite Berichterstattung gibt es dagegen Agenturmeldungen. Die Volontäre, die zum Dienst verpflichtet sind, hatten gestern mit den „leitenden“ Redaktionsmitgliedern und den mit Zeitvertrag Beschäftigten viel zu tun. Ein Teil der redaktionellen Mitarbeiter ist zudem über Leiharbeitsfirmen angeheuert und nicht betroffen von dem zur Verhandlung stehenden Tarifvertrag.
Das System der Fremdfirmen setzt auch die Drucker des Bretag-Verlages unter Druck. Die eine Hälfte der großen Rotationsmaschine wird von Mitarbeitern einer Firma TMI aus Ahrensburg bedient – das sind oft über längere Zeit arbeitslose Drucker, die von weit her anreisen und auf Nacht- und Wochenend-Zuschläge verzichten müssen. Weil dies für den Verlag billiger ist, wird derzeit versucht, die gesamten Wochenendschichten den TMI-Leuten zu übertragen. Billiger sind die TMI-Schichten auch, weil weniger Leute die Rotationsmaschine bedienen müssen – was nach Beobachtung der regulären Mitarbeiter der Bretag vermehrt zu gravierenden Unfällen führt. Im Tarifvertrag der Bretag-Drucker ist dagegen eine „Mindestbesetzung“ vereinbart.
Wegen einem der ausgeliehenen TMI-Arbeitnehmer war vergangenen Donnerstag ein Sondereinsatzkommando im Druckhaus des Weser Kuriers. Die Spezialtruppe erschien mit schwarzen Ski-Masken überm Gesicht, um einen der Drucker aus Rostock festzunehmen. Der Parkplatz wurde mit Drogenhunden durchsucht – offenbar wird der Mann verdächtigt, mit Drogen zu handeln.
Der Vorfall wurde im Weser Kurier nicht mitgeteilt. Auch gestern, als die „Leitenden“ eigentlich Bedarf an eigenen Meldungen gehabt haben müssten, wurde der Vorfall totgeschwiegen.