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Archiv-Artikel

„Bei uns wird von unten nach oben gelacht“

Bis eine Frau den deutschen Kabarettpreis bekommt, können schnell mal Jahrzehnte ins Land gehen. Jetzt ist es so weit: Ausgezeichnet wird Lisa Politt, den Nachwuchspreis erhält Käthe Lachmann

Interview: TINA FRITSCHE

Heute Abend zeichnet das Nürnberger Burgtheater die Kabarettistin Lisa Politt mit dem Deutschen Kabarettpreis 2003 aus. Es ist das erste Mal in der Geschichte dieses Preises, dass er an eine Frau verliehen wird. Lisa Politt, 47, ist eine Hälfte des Hamburger Kabarettduos „Herrchens Frauchen“ und führt gemeinsam mit Gunter Schmidt seit September 2003 eine eigene Kabarettbühne in Hamburg, das „Polittbüro“. Den Kabarettförderpreis erhält die Hamburger Komikerin Käthe Lachmann, 32. Lachmanns aktuelles Programm heißt „Sitzriesen auf Wanderschaft“.

taz.mag: Warum haben bislang ausschließlich Männer Kabarettpreise abgeräumt?

Lisa Politt: Der Kleinkunstpreis und vor allem der Kabarettpreis sollten wohl östrogenfrei bleiben. Selbst Lisa Fitz erhielt den Kleinkunstpreis nicht in der Sparte Kabarett, sondern für Chanson. Sobald eine Frau ihn bekommt, sind offenbar die heiligen Hallen beschmutzt.

Käthe Lachmann: Aber Frauen haben doch andere Preise bekommen!

Politt: Ja, Chansonpreise! Preise für den besten Kuchen!

Lachmann: Du hast doch vor ein paar Jahren den Kleinkunstpreis nicht für den besten Kuchen bekommen!

Politt: Ich habe ihn als Förderpreis gekriegt und mich der Förderung nicht würdig erwiesen, sonst hätte ich ja irgendwann den Hauptpreis bekommen.

Haben Frauen einen anderen Humor als Männer?

Politt: Ach, da ist sie wieder, diese Frage! Ich sage es mal so: Die Art des Beschreibens richtet sich nach dem Ort, den ich innerhalb des hierarchischen Gefüges der Gesellschaft innehabe. Das bedeutet auch, dass der Blick der Frau auf die Gesellschaft ein anderer ist als der des Mannes. Oder um es plastisch zu formulieren: Es gibt so viel weiblichen Humor wie männliche Arschlöcher! Käthe, was sagst du dazu?

Lachmann: Zehn Kabarettisten können eine Geschichte zum Thema Supermarkt erzählen, und es werden zehn total verschiedene Sachen herauskommen. Aus der Sozialisation der Leute entsteht der Blickwinkel. Natürlich kann man dann sagen, dass eine Frau einen anderen Blickwinkel hat, weil sie jahrelang unterdrückt worden ist …

Politt: … nein, weil sie eine andere Sozialisation hat.

Lachmann: Aber dann hat ein behinderter Komiker auch eine andere Sozialisation als einer, der einen Trinker als Vater hat. Deshalb kann man nicht von einem spezifisch weiblichen oder männlichen Humor sprechen, sondern jeder hat aufgrund seiner Sozialisation eine spezifische Sicht auf die Dinge.

Politt: Ich halte die Erfahrung, im Patriarchat Frau zu sein, für maßgeblich. Das lässt sich allerdings innerhalb aller hierarchisierenden Strukturen der Gesellschaft nachvollziehen. So macht jemand wie Kerim Pamuk aus seiner Sicht als Türke in Deutschland spezielles Kabarett. Und wenn ich meinen Blick als Feministin nicht abstrahiere und auf andere Strukturen übertragbar mache, dann bleibt mein feministischer Blick unpolitisch.

Lachmann: Mich stört, dass die Sache mit dem weiblichen und dem männlichen Humor überhaupt so herausgestellt wird.

Politt: Mich auch. Es ist doch ein Witz, dass jetzt viele Leute fragen, ob ich den Kabarettpreis nun kriege, weil ich eine Frau bin. Ich sage: Wenn ich keine Frau wäre, hätte ich den schon viel eher gekriegt. So ’rum wird ein Schuh daraus.

Hat die geringe Präsenz von Frauen im politischen Kabarett etwas mit mangelndem Mut zu tun?

Lachmann: Ja sicher. Nur wenige Frauen machen etwas Politisches auf der Bühne. Da nehme ich mich nicht aus. Ich denke, dass ich mich vielleicht zu wenig auskenne.

Politt: Ach, es gibt Männer, die kennen sich wesentlich weniger aus als du und blasen das bis in die Wüste rein. Ich möchte Frauen ermutigen, das, was sie im Kopf haben, auch zu entäußern. Es heißt schließlich auch was, wenn Frauen dieses Segment auslassen, weil sie Angst haben, es könnte vielleicht nicht genügen.

Sie bewegen sich beide im Spannungsfeld zwischen politischem Kabarett und Comedy. Wie tragen Sie das aus?

Politt: Mit den Fäusten und mit Alkohol. Nee, jetzt sag du auch mal was.

Lachmann: Also, ich möchte eigentlich nur unterhalten. Ich tu nicht den Zeigefinger hoch und sage, ich möchte die Welt verändern.

Politt: Frau Lachmann hat ihren anarchischen Sitz an einem anderen Punkt ihrer Psychostruktur als ich. Diese Frau ist unglaublich anarchisch. Sie irritiert die Zuschauer nachhaltig. Sie vermittelt einen Eindruck von der grundsätzlichen Absurdität unserer Lebensverhältnisse. Bei mir sitzt der Ort, von dem aus ich das verbalisiere, ganz eindeutig im Bewusstsein. Bei ihr es das sich vollkommen anarchisch gebärdende Es. Dem gibt sie auf der Bühne Raum, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Das ist so komisch an ihr.

Sie haben zur Eröffnung des Polittbüros angekündigt, Ihr Theater solle ein Ort sein, an dem es nicht Comedy, sondern Kabarett geben soll.

Politt: Ich habe auch mal gesagt, Comedy sei Kabarett ohne Hirn. Comedy hat dem Kabarett die Form geklaut und den Inhalt vernachlässigt. Im Polittbüro wird von unten nach oben gelacht und nicht umgekehrt. In allen gesellschaftlichen Dispositiven wird der gesellschaftliche Verlierer als der Superdepp dargestellt, der es nicht besser verdient hat. Die Comedy macht genau das auch. Aber Satire darf nicht alles, sie darf nicht ihre Waffen nach unten richten.

Lachmann: Ich finde allein schon die Unterscheidung zwischen Comedy und Kabarett doof. Wenn Erwin Grosche erzählt, wie Kochkäse, wenn man ihn schüttelt, immer wieder die ursprüngliche Form annimmt, dann kann das genauso gut als Comedy gelten. Nur weil so viel Müll im Fernsehen als Comedy läuft, denken alle, Comedy heißt Leute verarschen.

Politt: Man muss davon ausgehen, dass in der Gesellschaft kein Aufwand betrieben wird, wenn er keinen Sinn hat. Warum also hat die Gesellschaft es für nötig befunden, den Begriff Comedy zum Begriff Kabarett dazuzuerfinden?

Lachmann: Na ja, ursprünglich war Kabarett politisch.

Politt: Nein, ursprünglich war Kabarett eine Kunstform, bei der es auf einer kleinen Bühne verschiedenste Darbietungen gab. Davon hat sich das politische Kabarett abgegrenzt. Joe Luga, der während des Zweiten Weltkriegs als Damenimitator „Inge“ Frontbetreuung gemacht hat, hat später lange darüber lamentiert, dass die politischen Kabarettisten ihm nach 45 das Geschäft versaut hätten.

Lachmann: Würdest du denn sagen, ich mache Kabarett?

Politt: Ich finde dich schwer einzuordnen. Du machst Kleinkunst.

Lachmann: Aber diese Differenzierung gibt es nur in Deutschland. Findest du, dass Kabarett qualitativ hochwertiger ist als Comedy? Du hast doch auch Comedyelemente in deinem Programm. Wobei deine Sicht auf die Dinge wahrscheinlich immer politisch ist.

Politt: Nicht auf mein Marmeladenbrötchen! Natürlich kann ich innerhalb eines politischen Kabaretts auch nicht dauernd über Politik reden, sonst schnarcht das Publikum weg.

Lachmann: Aha!

Politt: Denn, wie schon Brecht gesagt hat …

Lachmann: Hört, hört!

Politt: … musst du das Publikum erst einmal unterhalten. Damit verführst du es, auf Inhalte einzugehen. Sonst könntest du auch einen Vortrag halten. Meine früheren Auftritte haben dem oft sehr geähnelt. Das Publikum erreichst du, indem du lustvoll und sinnlich erfahrbar bist. Da sind wir zwei uns wohl einig.

Lachmann: Ja. Aber warum um Gottes Willen kann man nicht einfach nur gut unterhalten? In Deutschland ist das echt nervig.

Politt: Unterhaltung in Deutschland ist eben schwieriger, weil wir eine andere Geschichte haben …

Lachmann: Weiter!

Politt: Wieso?

Lachmann: Wieso ist deshalb „nur“ unterhalten schwieriger?

Politt: Zurzeit wird in Deutschland wieder einmal die unverkrampfte Haltung zum Patriotismus propagiert. Darin wird abgehoben auf den Franzosen, der einen ganz selbstverständlichen Nationalstolz hat. Allerdings hat der Franzose auch nicht auf eine industriell perfektionierte Art und Weise sechs Millionen Juden in Gaskammern umgebracht. Das macht es ein bisschen unverkrampfter. In der Geschichte der deutschen Unterhaltung gibt es die Frontbetreuung und das Mädchenorchester in Auschwitz – und alle haben im Nachhinein gesagt, dass sie ja nur unterhalten wollten. Deshalb bewegst du dich auch in einem anderen Feld als zum Beispiel Monty Python.

Lachmann: Wegen unserer Geschichte darf man nie mehr in Deutschland nur unterhalten?

Politt: Du kannst über das Erbe wütend sein, du kannst es ablehnen oder dich damit bewusst auseinander setzen, aber du wirst nie eine andere geschichtliche Vergangenheit haben. Unterhaltung in Deutschland war gleichgeschaltet und hatte den Zweck, über Vernichtungslager hinwegsehen zu können. Komik in diesem Land, ob du persönlich was damit zu tun hast oder nicht, hat diese Geschichte. Deshalb ist hier das Verhältnis zu „nur Unterhaltung“ sicher sehr verkrampft. Aber Unverkrampftheit ist kein Kriterium.

Wenn es nach Ihnen beiden ginge, wer sollte denn als Nächste den Deutschen Kabarettpreis bekommen?

Lachmann: Popette Betancor. Oder Barbara Kuster.

Politt: Hilde Wackerhagen! Sie ist weder süß noch jung noch frech. Sie hat einfach einen brillanten Intellekt.

TINA FRITSCHE, 40, lebt als freie Autorin in Hamburg