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Archiv-Artikel

Migranten als neue Zielgruppe

In Deutschland produzierte Webseiten für Einwanderer leisten weit mehr für deren Integration als alle Politik

Aaron und Nike sind ein potenzielles Traumpaar. Dabei haben die beiden vielleicht nur eines gemeinsam: Sie haben sich als Nutzer der Website „Asia-Zone.de“ registriert, samt Fotos. Und aus dieser Nutzerdatenbank stellt „Asia-Zone.de“ jeden Monat ein Zufallspaar vor. Wie stark und wofür ethnische Minderheiten in Deutschland das Internet nutzen, ist bisher kaum erforscht. Die großen Studien fragen nicht nach der Herkunft oder gar dem deutschen Pass. Dabei sind unter den türkischen Internettern besonders viele heavy user, die über 7 Stunden pro Woche im Netz hängen, ergab eine Untersuchung der Berliner Marketingfirma LabOne (www.labone.de).

Allerdings, so Projektleiter Kenan Akyol, hinke die Verbreitung des Internets in der Türkei der in Deutschland „drei bis vier Jahre hinterher“. Erst ein Viertel der rund 2,5 Millionen Türken in Deutschland sei online. Wer die Satellitenschüsselbatterien türkischer Wohnquartiere sieht, könnte vermuten, dass die Onlineangebote aus der Türkei ganz oben in der Gunst stehen. Falsch: „Über 60 Prozent nutzen eher deutsche Inhalte“, korrigiert Kenan Akyol dieses Bild: „Für uns war das nicht überraschend.“ Einwanderer der dritten Generation können besser Deutsch als Türkisch lesen und schreiben. Und interessant ist für sie vor allem der türkische Alltag in Deutschland.

Genau den liefern die konkurrierenden deutschtürkischen Start-ups, „Türk Dünya“ („Türkische Welt“, wwww.turkdunya.de) aus Hamburg und „Vaybee“ („Wow!“ www.vaybee.de) aus Köln. Beide bieten einen ähnlichen Mix aus Orientierung, Infotainment und Interaktion, Linkverzeichnisse vom Dönerladen bis zur Rechtsberatung, Nachrichten, Fußballergebnisse, und Lifestyle: Auto, Mode, Musik, Erotik, Reise. „Konsumfreudig und markenbewusst“ sei die Zielgruppe, wirbt Türk Dünya. Beide bieten Inhalte in Deutsch und Türkisch, an, die nicht immer ganz deckungsgleich sind.

Die großen Portale für Einwanderer aus der früheren Sowjetunion, „Germany.ru“ und „Hamburg.ru“, kommen dagegen fast alle russisch daher. „Wir sind noch nicht so weit wie die Türken“, so Spätaussiedler Andreas Brückmann, Betreiber von „Germany.ru“. Auch er will den Einwanderern Alltagshilfen liefern, „und da erklärt man das deutsche Versicherungssystem am besten auf Russisch“.

Beliebter als alle redaktionellen Inhalte sind bei Germany.ru aber die Chaträume, Diskussionsforen und Anzeigenseiten. Bei Vaybee und Türk Dünya ist das nicht anders, und Kenan Akyol kann das gut erklären: „Die jungen Deutschtürken leben häufig in großen gesellschaftlichen Zwängen“, sagt er, „im Internet sind sie nicht so stark wie in den Familien.“

Ähnliche Erfahrungen macht auch Philipp Souyama Datta, der mit zwei Freunden die Website www.indernet.de aufgebaut hat: „Viele indische Mädchen suchen lieber nach einem indischen Freund, weil sie hoffen, dass die Familie das eher akzeptiert.“ Die Partnersuche online bereitet Datta aber nicht nur Freude: Manchmal muss die Redaktion bei allzu wüsten Liebeswerbungen mäßigend eingreifen. Die Forumsbesucher treffen sich gerne auch auf realen indischen Partys, die ein überregionales Publikum anziehen, erzählt Datta. Die Fotos stehen anschließend im „Indernet“.

Auch die mehr oder weniger professionellen Kommunikationsplattformen für junge Griechen (www.greektown.de) und Asiaten (www.asia-zone.de) werben für entsprechende Partys. Eher kulturorientiert ist dagegen eine Website zum russischen Berlin: www.007-berlin.de. Iraner (www.iran-now.de) und Polen (www.polonia.de) mischen Kultur und Kommunikation. Für die türkische Geschäftswelt gibt es sogar ein eigenes Branchenbuch. Unter www.kniga.de bietet ein Onlinehändler russische Bücher und Musik an.

Bei so viel praktischer Integration im Netz ist auch Deutschlands Internetmarktführer T-Online aufgewacht. Er hat die Migranten als Zielgruppe entdeckt und bietet heute redaktionelle türkische Seiten an. GMX, einer der größten Anbieter von Gratis-E-Mail, hat dagegen seine mehrsprachigen Versionen, darunter eine türkische und italienische, schon Anfang 2002 wieder eingestellt – „mangels Interesse“.

FIETE STEGERS

fiete@stegers.de