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Archiv-Artikel

Bin ich schon drin?

Der CSU droht ein neuer Wahlskandal. Mitgliedsanträge sollen gefälscht worden sein. Nun sind sie verschwunden

MÜNCHEN taz ■ Ich habe sie nicht, sagt der Wahlleiter. Ich auch nicht, sagt der Ortsvorsitzende. Bei uns ist nichts angekommen, beteuert der Bezirkschef. Wo sind sie bloß, die 35 notariell beglaubigten Aufnahmeanträge in die CSU, die für einen erheblichen Eklat innerhalb der Partei sorgen und mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft interessieren?

Aufgetaucht sind sie vor drei Wochen bei den Neuwahlen des CSU-Ortsvorsitzes im Münchner Stadtteil Perlach. Als Kandidaten standen sich der Landtagsabgeordnete Heinrich Traublinger und der leicht favorisierte Stadtrat Johann Altmann gegenüber. Überraschend gewann Traublinger die Wahl deutlich mit 72 zu 55 Stimmen. Wie das?

Während des Wahlabends tauchten plötzlich mindestens 20 Personen auf, die im Ortsverein bis dahin die wenigsten kannten und die auch nicht in den Mitgliederlisten verzeichnet waren. Auf Nachfragen des Wahlleiters Peter Welnhofer präsentierten Unterstützer von Traublinger insgesamt 35 Aufnahmeanträge, die gerade passend etwas über zwei Monate zurückdatiert waren, um den Neumitgliedern bereits ein Stimmrecht zu ermöglichen. Die Identität der Anwesenden anhand des Personalausweises zu überprüfen, lehnte Wahlleiter Welnhofer ab. Doch der Münchner Merkur wurde misstrauisch und berichtete.

Am vergangenes Wochenende legte der Spiegel nach: Reihenweise seien Anträge gefälscht worden, in weiteren Fällen hätten Mitglieder der Jungen Union Geld für einen Eintritt in die Partei bezahlt und anschließend Bekannte als Doubles aufgeboten, die anstelle der angeblichen Neumitglieder bei Wahlen ihre Stimme abgaben – so auch bei der Wahl des Perlacher Ortsvorsitzenden. Hintergrund dieser Aktivitäten seien Machtkämpfe innerhalb der Jungen Union um günstige Ausgangspositionen für künftige Führungsposten.

Angesichts dieser Vorwürfe prüft die Münchner Staatsanwaltschaft nun, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet. Dazu hätte man bei der Behörde gern die 35 Aufnahmeanträge – aber die sind verschwunden. Wahlleiter Welnhofer, der alle Unterlagen des Wahlabends mitgenommen hat, will gerade die entscheidenden Dokumente vergessen haben, während der neue Perlacher Ortsvorsitzende Heinrich Traublinger sie beim Bezirksverband wähnt – der aber weiß von nichts. Laut Parteisatzung müssen die Anträge mindestens ein halbes Jahr aufbewahrt werden.

Verschwunden ist anscheinend auch ein 22-jähriges CSU-Parteimitglied aus München, das im Verdacht steht, über seine Tätigkeit bei einer Versicherung Personendaten für gefälschte Mitgliedsanträge abgezapft zu haben. Obwohl selbst dem Chef der CSU-Stadtratsfraktion, Hans Podiuk, zwei gefälschte Anträge vorliegen, wollen weder die designierte Münchner CSU-Chefin, Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier, noch Ministerpräsident Edmund Stoiber etwas von Wahlbetrug wissen. Beide sind enge politische Weggefährten von Heinrich Traublinger, der als Präsident der bayerischen Handwerkskammer den Kontakt zu wichtigen Stammwählern pflegt. JÖRG SCHALLENBERG