: Die soziale Glotze
In den USA wollen mehrere Unternehmen das TV-Programm interaktiv aufmotzen. Zuschauer sollen am Bildschirm abstimmen, chatten oder Inhalte austauschen. Es ist nicht der erste Versuch dieser Art
VON BEN SCHWAN
Immer mehr Menschen wenden sich vom traditionellen Fernsehen ab – zu vorgeschrieben ist ihnen der Programmablauf, zu wenig interaktiv das Erlebnis. Nicht nur bei sogenannten „Early Adopters“, die stets die neueste Technik brauchen, ist der PC inzwischen zum Hauptmedium für Bewegtbilder geworden, egal ob für kurze YouTube-Videos, TV-Serien oder ganze Kinofilme.
Anbieter spezieller sozialer Netzwerke in den USA wollen nun die alte Idee des interaktiven Fernsehens wiederbeleben, um Zuschauer länger vor der Glotze zu halten – sie kombinieren den Ansatz von „MySpace“ oder „Facebook“ mit dem Betrachten des TV-Programms.
TAG Networks, ein kalifornisches Unternehmen, betreibt einen abobasierten Spieledienst, der über eine kleine Box auf den Fernseher kommt. Die Nutzer können dann untereinander kommunizieren und um High Scores zocken; 200.000 Abonnenten hat der Dienst nach eigenen Angaben schon.
Boxee, ein Open-Source-Projekt, nutzt bereits vorhandene Geräte des Kunden aus, etwa einen leisen, am Fernseher angeschlossenen Computer oder die Fernsehbox „Apple TV“. Die kostenlos herunterladbare Anwendung verwandelt den Bildschirm in einen per Fernbedienung steuerbaren Medienorganisator. Nutzer können ihren Musik- und Videobestand ansehen, sich aber auch via Internet mit anderen Boxee-Usern austauschen und Filme empfehlen.
Die Software überwacht im Hintergrund, was der Nutzer gerade sieht, und überträgt diese Informationen dann an seinen Freundeskreis, falls das gewünscht wird. Technisch möglich wäre auch, Inhalte direkt miteinander zu teilen, doch dies wolle man aus Gründen des Urheberrechtsschutzes nicht anbieten, so der Betreiber.
Ideen für interaktives Fernsehen existieren schon seit mehreren Jahrzehnten – kein einziges der zahlreichen Pilotprojekte konnte sich bislang durchsetzen. Filme etwa, in denen der Zuschauer per TED-Abstimmung zum Schluss wählen konnte, wie er ausgeht, waren Flops; kaum anders erging es beim Zuschauer installierten Entscheidungskästchen, die per Telefonleitung eine Rückmeldung an die Sendezentrale schickten.
Auch im Zuge des Umstiegs zum Digital-TV änderte sich wenig. Der Grund: Es bildete sich kein Standard für die Empfangsboxen, auf denen interaktive Anwendungen hätten laufen können. Das technisch Höchste der Gefühle auf dem Markt sind bislang elektronische Programmvorschauen, die im Fernseher oder im Decoder verbaut sind, so genannte „Electronic Program Guides“, kurz EPG.
Die einzige einigermaßen interaktive TV-Technik, die in den vergangenen Jahren größere Zielgruppen erobern konnte, sind digitale Videorekorder. In den USA vor allem vom Anbieter „Tivo“ bekannt, kann man mit ihnen Sendungen auf Festplatte aufzeichnen, automatisiert jede Woche neue Folgen vorgelegt bekommen, sich neue Shows vorstellen lassen und langweilige Stellen vorspulen.
Überholt wurde das interaktive Fernsehen auch durch Videospiele, die immer mehr Spielfilmen ähneln. Dank Titeln mit Tiefgang und Action, wie beispielsweise die Games der unter Jugendschützern umstrittenen Reihe „Grand Theft Auto“, kann sich heute jeder selbst als Hauptfigur in eine Story versetzen lassen. Die Titel sind inzwischen so umfangreich, dass man Dutzende Stunden in solchen Spieleuniversen verbringen kann. „GTA“ bietet sogar eigene Unterhaltungsclubs, in denen man Stand-up-Komikern zuschaut.
Kein Wunder also, dass auch die Hersteller von Spielekonsolen ein Auge auf interaktives Fernsehen geworfen haben – da die Konsolen direkt am großen Bildschirm hängen, bieten Geräte wie Playstation 3 von Sony oder Xbox 360 von Microsoft längst auch Funktionen, die über das reine Spiel hinausgehen.
So verkaufen beide Unternehmen inzwischen Filme direkt über ihre Plattform und bieten die Möglichkeit, über Headsets untereinander zu kommunizieren. Microsoft plant für November ein Update für seine Xbox, mit dem auch interaktive Quizspiele möglich sein sollen. Bis zu 50 Teilnehmer aus aller Welt können dann im „Wer wird Millionär“-Stil gegeneinander antreten, repräsentiert jeweils durch eine selbst gestaltete Spielfigur.