: Die ärmsten Kinder kommen aus Essen
Der Kinderbericht der Stadt Essen ist noch nicht veröffentlicht, sorgt aber bereits für eine Debatte. CDU-Ratsherr Thomas Kufen will Konsequenzen ziehen. Essens Bürgermeister Hans Peter Leymann-Kurtz wirft CDU Heuchelei vor
Essen taz ■ Die Sozialhilfedichte bei den unter Siebenjährigen ist in Essen höher als in jeder anderen Stadt in NRW. Und die Schere zwischen arm und reich wird hier immer größer. Diese traurigen Erkenntnisse gehen aus dem Kinderbericht hervor, der um den 20. Januar erscheinen soll. Einmal in der Legislaturperiode erstellt die Stadt den Report. Während das Kinderbüro vor der Veröffentlichung keine Zahlen herausgeben darf, diskutieren Essener Politiker bereits das Ergebnis in den Medien.
CDU-Ratsherr und Jugendpolitiker Thomas Kufen sagte der Neuen Ruhr Zeitung (NRZ), der Bericht sei „deprimierend“ und er fordere Konsequenzen. Bei Themen rund um Essens Nachwuchs sei für die CDU „Schluss mit lustig“, so Kufen. Für seine Fraktion müsse 2004 „das Jahr der Kinder- und Jugendpolitik“ werden.
Als „fragwürdiges Manöver nahe am Rand der Heuchelei“ hat der sozialpolitische Sprecher der grünen Ratsfraktion, Hans Peter Leymann-Kurtz, die Äußerungen des CDU-Ratsherrn Thomas Kufen bezeichnet. Die steigende und sich verfestigende Verarmungstendenz von Kindern in der Stadt Essen sei seit annähernd zehn Jahren durch Zahlen belegt. „Herr Kufen habe kein Anlass sich darüber zu empören“, so Leymann-Kurtz. Auf kommunaler Ebene hätte seine Fraktion beispielsweise durch die Kürzung der Bekleidungsbeihilfe für Sozialhilfeempfänger entscheidend dazu betragen, die Lager ihrer Kinder zu verschlimmern. „Die Ideologie der Ausgrenzung hat vor allem bei der CDU ihre Heimat.“
Die CDU solle darauf verzichten, sozialhilfebeziehende Eltern generell des ‚Missbrauchs‘ sozialer Leistungen und des ‚Schmarotzertums‘ zu verdächtigen und mit Sanktionen zu bedrohen, so der parteilose Ex-Grüne. Außerdem müssten natürlich Sozialhilfeleistungen von den laufenden Kürzungsorgien ausgenommen werden. Auch der Parteivorsitzender der Essener SPD, Dieter Hilser, begrüßte gegenüber der NRZ, dass die CDU nun endlich mal die drängenden Probleme und die Wichtigkeit der Kinder- und Jugendhilfe entdeckt habe.
„Das ist ein typischer Reflex von Rot-Grün“, kontert CDU-Ratsherr Thomas Kufen. „Die glauben, sie hätten das Thema Armut gepachtet und die CDU ist immer gleich Helmut Kohl“, so Kufen gegenüber der taz. Er wolle mehr für die Förderung der deutschen Sprache tun, denn die sei der Schlüssel für Bildungschancen. Und das Potential an MigrantInnenkinder dürfe nicht länger brach liegen.
Die Grünen-Fraktion hat einstimmig die beabsichtigten Mittelkürzungen für Kinder und Jugend im Landeshaushalt abgelehnt. Jugendzentren seien Orte des Lernens, Orte der Demokratie, so Leymann-Kurtz: „Der Kinder- und Jugendarbeit darf nicht die Existenzgrundlage entzogen werden“. Gerade in den offenen Jugendzentren macht der sozial schwächere Nachwuchs das Gros der Besucher aus. In Anbetracht dessen verwirrt der Vorschlag des CDU-Jugendpolitikers Kufen, der diesen Bereich in einen städtische Eigenbetrieb „outsourcen“ will. Dass eine solche Entwicklung zu Preiserhöhungen und weiterer sozialer Ausgrenzung führt, sei zwangsläufig.
Das Nord-Süd-Gefälle hat im Ruhrgebiet bekanntlich Struktur: In den meisten Großstädten leben fast alle armen Kinder in den alten Arbeitervierteln im Norden der Städte, in denen Zechen und Stahlwerke in den 70er Jahren schlossen. Kaum einer hat hier Arbeit, die Kriminalität ist hoch. Für die besonders hohen Zahlen armer Kinder in Essen, hat Kufen eine Erklärung: „Wir machen die ehrlichste Statistik.“ NATALIE WIESMANN