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Archiv-Artikel

Ich spiele, also bin ich?

Sich gegenseitig des Menschseins versichern: Die Gruppe „DREI“ fordert in ihrem neuen Experiment Philosophie mit dem Titel „Spiel“ das Kampnagel Publikum auf, es zu tun

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt,“ schrieb der Dichter Friedrich Schiller in seiner Ästhetischen Erziehung des Menschen. Gemeint hat der Aufklärer Brettspiele, Gesellschaftsspiele, aber auch das Theaterspiel. Unter der Maske kann ein Edelmann für einige Zeit zum Bettler werden, ohne im wahren Leben Hab und Gut zu verlieren. Denn ihm ist klar: Im Spiel gelten besondere Regeln, die sonst keine Relevanz haben.

„Spielgeld ist dafür ein gutes Beispiel“, findet der Philosoph Bernhard Schleiser. „Beim Monopoly versucht man möglichst viel davon anzuhäufen und bekommt Straßen und Häuser dafür. Aber wenn man es aus dem Fenster wirft und jemand findet es, kann der sich nicht mal ein Eis dafür kaufen.“ Die Mitspieler begeben sich freiwillig in die Spielsituation, sie bestimmen, wann sie beginnt, wann es endet und einigen sich auf die Regeln.

Während die Familienmitglieder sich am „Mensch ärgere dich nicht“ ergötzen oder die Schachpartner mit strategischen Zügen versuchen, den gegnerischen König matt zu setzen, erkennen sie sich als gleichwertige Mitspieler an. „Sie versichern sich so gegenseitig als Mensch, philosophisch gesprochen als Subjekt“, so die Philosophin Heidi Salaverria, „sobald jemand Objekt wird, wie es beispielsweise im Liebesspiel vorkommen kann, dann handelt es sich nicht mehr um ein Spiel.“ Dann entsteht ein Machtverhältnis, das über die Spielsituation in den Alltag hineinwirkt.

Der Sinn im reinen Selbstzweck soll, wenn es nach Schleiser geht, allen Arten des Spiels innewohnen. Sei es nun beim Fußball, bei einer Achterbahnfahrt, sei es unter der Bettlermaske oder am Roulettetisch. Der französische Soziologe Roger Callois erkennt darin Kampf, Maske, Zufall und Rausch, die Grundkategorien des Spiels, und „diese liegen in dem Spannungsfeld von Lust und Regel“, referiert Schleiser.

Das wollen die Gruppe DREI in ihrem neuen philosophischen Experiment das Publikum am eigenen Leibe erfahren lassen. „Die Zuschauer sollen herausfinden, was für Spielertypen sie sind.“ Ganz simpel, indem sie miteinander sprechen und spielen, aber auch zusehen, wie die Kamera mit der Schauspielerin Christa Krings Fangen spielt.

„Die Diskussion wird in dieser Veranstaltung mehr Raum einnehmen als in den vorherigen“, verspricht DREI-Akteur Christian Gefert. Denn es geht um das Spiel als Phänomen, das unterschiedliche Interpretationen zulässt. Die DREI wollen dabei über den eigenen Spielfeldrand hinaustreten. Die Rede vom „Spiel um seiner selbst willen“ klingt dabei nostalgisch alt-europäisch angesichts der medialen Spielshow-Flut, die Abend für Abend via Bildschirm in die Wohnzimmer schwemmt.

Die Suche nach Millionären und Superstars auf allen Kanälen hat für Gefert nichts mehr mit dem schillerschem Freiheitsgedanken zu tun. Denn ob jemand mit Euros beladen oder mit einem Superstaretikett nach Hause geht, wirkt sich stark auf seinen künftigen Alltag aus. Außerdem „wird da das Spiel instrumentalisiert, ökonomisiert, wie die meisten gesellschaftlichen Prozesse zur Zeit, auch im Sport zählt Leistung mehr als die Betätigung an sich“.

Dadurch, so Geferts These, gehen Spielräume als Freiräume verloren, und das findet er bedenklich. Ein Anliegen der DREI ist deshalb nicht nur, mit dem Publikum darüber zu sinnieren, welche Kriterien das Spiel an sich ausmachen. Für die Philosophie-Performer geht es auch darum, „das Spiel als Selbstzweck wieder zu entdecken. Jenseits des Konsumgegenstands, zu dem es in den letzten Jahren verkommen ist.“ Katrin Jäger

morgen, 20 Uhr, Kampnagel