piwik no script img

Archiv-Artikel

Die WTO abschaffen?

ja

JA

Die Welthandelsorganisation befindet sich längst jenseits aller Reformmöglichkeiten, meint Nicola Bullard. Sie muss weg

Wer an dieser Tatsache zweifelt, braucht sich nur anzuschauen, welche Reformen die WTO seit ihrer Gründung tatsächlich vollzogen hat und welche davon die armen Länder begünstigen: keine einzige!

Warum versuchen denn tausende, die WTO abzuschaffen? Warum verteidigen die verschiedensten Völker der Welt ihre Wasservorkommen, ihre Bildungs- und Gesundheitssysteme vor der Kontrolle durch Unternehmen? Warum haben sich 23 Entwicklungsländer während der WTO-Konferenz vergangenen September in Cancún gegen die EU und die USA gestellt? Und warum haben Abgesandte der Entwicklungsstaaten das Platzen der Cancún-Konferenz als Erfolg bewertet?

Weil sie auf die weiter zunehmende Verarmung großer Bevölkerungsteile in den so genannten armen Regionen reagieren. Weil sie die Unterordnung unter die Logik des Marktes, die Macht von Unternehmen und eine neoliberale Wirtschaftspolitik nicht länger akzeptieren wollen.

Klar ist, dass hier etwas falsch läuft und dass die WTO das Symbol dieses „Irrtums“ ist. Und weit mehr: Sie ist als Institution ein wesentlicher Mechanismus, durch den der Irrtum weiterbesteht.

Die WTO hat drei große Probleme. Zunächst schwört sie auf das falsche Entwicklungsmodell, nämlich auf das neoliberale Modell. Sie glaubt, dass Entwicklung gleichbedeutend ist mit Wirtschaftswachstum. Ihr zweites Problem sind die enormen Unterschiede zwischen den Mitgliedern. Denn die 148 WTO-Länder sind sowohl in ihrer Wirtschaftsstärke als auch im Einflussvermögen völlig ungleich. Das wird durch die undemokratischen und undurchsichtigen Verhandlungsstrategien noch verschlimmert. Und drittens tragen WTO-Vorschriften dazu bei, dass Entwicklungsländer durch wohlhabende Länder systematisch daran gehindert werden, sich weiterzuentwickeln – zum Beispiel, wenn arme Länder gezwungen werden, ihre Märkte für Weizen oder Rindfleisch aus den reichen Ländern zu öffnen, obwohl sie damit ihren eigenen Bauern schaden.

Zwar arbeiten die Unterhändler der Entwicklungsländer und die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hart, damit die WTO ihre ungerechten Standards verbessert. Dennoch wurden die Standards nicht einmal geringfügig zu deren Gunsten modifiziert. Das gilt für alle Bereiche: Landwirtschaft, Patentrechte und öffentliches Gesundheitswesen, unterschiedliche Sonderbehandlungen oder das Dienstleistungsabkommen Gats.

Handel wird gebraucht, aber nicht in seiner jetzigen Form. Handel ist abzulehnen, wenn er Länder in Abhängigkeit manövriert, Länder zu Lieferanten einer globalen Produktionskette reduziert und Nationen zwingt, die Zahlungen an die Schuldner reicher Länder zu erwirtschaften.

Unter anderen Umständen könnte internationaler Handel ein Segen sein, Technologien fördern, Arbeitsplätze schaffen, das Einkommen stützen oder die regionale Wirtschaft aufbauen und stärken. Dafür wäre jedoch ein anderer Rahmen notwendig: ein Rahmen, bei dem Sozial- und Umweltbetrachtungen wichtiger sind als Handelsstandards. Ein Rahmen, bei dem die Bedürfnisse der regionalen Wirtschaft ein wesentlicher Aspekt der Wirtschaftspolitik werden.

Die WTO dazu zu bewegen, wäre, als sollte der Leopard seine Fellzeichnung ändern. Das liegt nicht in der Natur der WTO.

Die Welt zerbräche nicht durch Handelskriege, würde die WTO demontiert. Ganz im Gegenteil: Ohne die Last ungerechter Handelsbeziehungen hätten Entwicklungsländer die Möglichkeit, Wirtschafts- und Handelsinteressen in ihrem Interesse und nicht im Sinne reicher Länder und Kooperationspartner voranzutreiben.

Wir brauchen die WTO auch deshalb nicht, weil wir längst über jede Menge internationaler Menschenrechte und umweltpolitischer Regularien verfügen. Die gewährleisten bereits, dass Handel die Rechte der Arbeitnehmer berücksichtigt, Beschäftigung ermöglicht, zu Wohlstand führt und die Umwelt schützt. Kurz: genau das, was die WTO tun sollte und woran sie so kläglich scheitert.

Fotohinweis: NICOLA BULLARD arbeitet seit 1997 in Bangkok für „Global South“, eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die sozialen Bewegungen Südostasiens untersucht