: Aufstieg abgeschmettert
Die Hertha, die nicht Fußball spielt (Teil 2): Die Tischtennis-Herren stehen kurz vor dem sportlichen Aufstieg in die Bundesliga. Allein es fehlt das Geld für die oberste Spielklasse
Der Griff in die Motivationskiste fällt Gerd Welker momentan schwer. Wie soll er bloß die Tischtennis-Herren von Hertha BSC bei Laune halten? „Jetzt wollen wir wenigstens Meister werden“, schwört der Abteilungsleiter des Hauptstadt-Clubs sein Zelluloid-Sextett auf die wohl entscheidende Partie am 8. März bei Werder Bremen ein. Sollten die Berliner an der Weser siegen, wäre ihnen der Titellorbeer in der 2. Bundesliga Nord kaum noch zu entreißen. Trotzdem wären die „Schmetterlinge“ von der Spree am Ende die traurigen Verlierer.
Denn schon in der Vorwoche hat Bernd Schiphorst, Präsident des Gesamtvereins Hertha BSC, die Bitte der Tischtennis-Abteilung abgelehnt, für den möglichen Aufstieg in die Bundesliga das nötige Kleingeld springen zu lassen. Dabei hätte sich Welker mit einer relativ bescheidenen Verdopplung des aktuellen Zweitliga-Etats von 100.000 Euro begnügt: „Das sind Peanuts im Vergleich zu unseren Fußballern. Man kann uns doch keinen Vorwurf machen, wenn wir gute sportliche Leistungen bringen“, erklärt er. Andere Tischtennisfreunde im Verein drücken sich weniger diplomatisch aus: „200.000 Euro kassiert unser Kamerad Luizao bei den Fußballern im Monat dafür, dass er auf der Ersatzbank sitzt.“
Doch Schiphorst blieb hart. Im Gesamtetat des Vereins von annähernd 50 Millionen Euro sieht der Big Boss keinen Platz für zusätzliche Begehrlichkeiten.
„Wir bleiben in der 2. Liga“, musste Tischtennis-Chef Wel- ker seiner Mannschaft um den chinesischen Spitzenspieler Guohui Wan und Miroslaw Bindatsch aus Tschechien mitteilen. Zu Enttäuschung, behauptet Herthas oberster Tischtennis-Chef, bestehe kein Anlass: „Man kann nicht enttäuscht sein, wenn man von vornherein weiß, was kommt.“ Rebellieren ist zwecklos: Ohne die Zuwendungen des Muttervereins und eines seiner Fußballsponsoren (Mercedes-Benz) könnte die Welker-Gilde kaum die 2. Liga finanzieren.
Herthas Asse an der grünen Platte stehen seit je im Schatten ihrer Kameraden auf dem grünen Rasen. Sogar die Gründung der Tischtennis-Abteilung geht auf einen vereinseigenen Fußballer zurück: Weil der frühere Nationalspieler Helmut Faeder nebenbei gerne mit dem kleinen Pingpongball hantierte, wurde ihm zu Ehren am 1. Mai 1963 – stolze 71 Jahre nach der Kicker-Sparte – eine Tischtennis-Abteilung ins Leben gerufen. Obwohl Faeder sich nie blicken ließ, schwingt man bei Hertha seit Herbst 1963 die Kelle.
32 Jahre später stiegen die Berliner sogar in die Bundesliga auf, hielten sich jedoch nur bis 1987 in der Beletage, bevor der jähe Absturz bis in die Oberliga folgte (1989). Nach dem Fall der Mauer sorgte im Juni 1991 die Fusion der Topspin-Herthaner mit Lokomotive Oberspree aus der 1. DDR-Liga für neue Schmetterkraft. Seit 1997 haben sich Herthas beste Herren in der 2. Liga etabliert. Insgesamt 15 Mannschaften aller Altersklassen jagen derzeit die kleine Zelluloidkugel über das Netz.
„Wir sind in der Stadt klar die Nummer eins bei den Herren“, verkündet Welker. Wer in Berlin Talent besitzt, wie etwa der frühere Tennis-Borusse Sebastian Borchardt, wechselt zu den Weddingern. Populär geworden ist die Sparte bei den über 10.000 Hertha-Mitglieder dennoch nicht. Im Durchschnitt pilgerten in dieser Saison 64 Zuschauer in die Sporthalle der Ernst-Reuter-Gesamtschule an der Bernauer Straße. Trotzdem will Welker, der die Abteilung seit ihrer Gründung 1963 leitet, nicht zurückstecken im Kamf um den Bundesliga-Aufstieg. „Nächstes Jahr versuchen wir es wieder.“ Kleiner Trost für die Berliner: Auch Konkurrent Werder Bremen verzichtet aus finanziellen Gründen auf die Bundesliga. „Wahrscheinlich wird jetzt aus der 2. Liga Nord überhaupt keine Mannschaft aufsteigen“, unkt Welker.
JÜRGEN SCHULZ