: Auf Wiedersehen im Netz
Die US-Zeitung „Christian Science Monitor“ stellt ihre tägliche Printausgabe ein und erscheint nur noch sonntags und im Internet. Ein Novum – und der vorläufige Höhepunkt der US-Medienkrise
AUS WASHINGTON BERND PICKERT
Als erste überregionale Zeitung der USA wird der in Boston herausgegebene Christian Science Monitor (CSM) ab April 2009 werktags nur noch online erscheinen. Die Druckausgabe, deren Auflage nach Angaben der Zeitung von mehr als 200.000 Exemplaren im Jahr 1970 auf derzeit 52.000 gesunken ist, wird eingestellt – lediglich am Wochenende soll eine Printausgabe erscheinen; an Werktagen neben der ständig aktualisierten Website nur noch eine elektronische Ausgabe per E-Mail an Abonnenten verschickt werden.
Das birgt freilich Risiken: Die bislang drei bis fünf Millionen monatlichen Seitenaufrufe unter www.csmonitor.com reichen bei weitem nicht aus, die Werbeeinnahmen aus dem Onlinegeschäft auch nur in die Nähe der Kostendeckung zu bringen. Ob die Steigerung der Seitenklicks auf 20 bis 30 Millionen klappt wie geplant, muss zunächst offen bleiben. Die derzeitige Erlösstruktur des CSM ist online kaum zu machen: Von den lediglich rund 10 Millionen US-Dollar Jahresumsatz der Printausgabe stammen derzeit rund 9 Millionen aus dem Abonnement- und nur etwa 1 Million aus dem Anzeigengeschäft.
Die Bereitschaft aber, für Online-Inhalte zu zahlen, ist gering. Das musste selbst die ungleich größere New York Times erfahren, die im September 2007 ihren zwei Jahre zuvor gestarteten Versuch, den Zugang zu Archiv und Kolumnentexten kostenpflichtig zu machen, wieder einstellte.
Der CSM, der im vergangenen Haushaltsjahr rund 19 Millionen US-Dollar (15 Millionen Euro) Verlust eingefahren hat, erhofft sich durch den Wegfall von Druck- und Vertriebskosten erhebliche Einsparungen: Sowohl bei den zurzeit 30 Verlagsmitarbeitern als auch in der 95-köpfigen Redaktion soll es nach Angaben von Herausgeber John Yemma Kündigungen geben, sobald der Übergang von Print zu Online abgeschlossen ist.
Überdies hofft der CSM, sich durch die Umstellung auch inhaltlich besser aufzustellen. Zurzeit hat die im Tabloidformat erscheinende Zeitung wegen ihrer schwierigen Vertriebsstruktur die unmögliche Andruckzeit von 12 Uhr mittags – und kann deshalb auf die meisten Ereignisse des Tages nicht reagieren. Die Website soll nun als echte Nachrichtenseite die Stärken des Monitor insbesondere in der Auslandsberichterstattung zur Geltung bringen. Hintergrundberichte und Reportagen aus dem Ausland, vor allem aus dem Nahen Osten, haben dem Monitor einen exzellenten Ruf beschert. Und sieben Pulitzer-Preise.
Mit der gedruckten Wochenendausgabe will der Monitor diejenigen Leser binden, die auf bedrucktes Papier nicht verzichten wollen, und jene neue erschließen, die nur am Wochenende Zeit für hintergründigere, längere Artikel aufbringen können. Denn von den Abokündigern, so Verleger Jonathan Wells, seien stets zwei Gründe für die Abbestellung zu hören: Sie hätten keine Zeit zum Lesen und das Produkt sei ihnen zu teuer.
Am 25. November feiert der CSM seinen 100. Geburtstag. 1908 von Mary Baker Eddy ins Leben gerufen, gehört die Zeitung bis heute der ebenfalls von Eddy gegründeten Christian-Science-Kirche; die übt zwar auf die Redaktion keinen inhaltlichen Einfluss aus, macht den Monitor aber im Unterschied zu den meisten Medienprodukten zur Nonprofitorganisation. Nicht zuletzt deshalb meint der Monitor, jetzt Avantgarde sein zu können: „Wir haben den Luxus, einen Schritt zu wagen, den in den nächsten fünf Jahren die meisten Zeitungen werden gehen müssen,“ sagt Herausgeber Yemma. Allzu lange Zeit hat der Monitor jedoch nicht, das neue Format zu etablieren: Die Christian-Science-Kirche will die Subventionen für den Monitor innerhalb der nächsten Jahre von rund 12 Millionen Dollar jährlich auf 4 Millionen eindampfen.
Die Printbranche in den USA steckt in einer tiefen Krise. 4,6 Prozent Auflage haben alle Zeitungen zusammen allein zwischen März und September 2008 verloren – und das in einem historischen Wahljahr. Noch ist es für die meisten Printprodukte zu früh, den Schritt des Monitor mitzugehen. Rund 92 Prozent der Umsätze der Zeitungen, zitiert die New York Times die Newspaper Association of America, werden derzeit noch mit dem Printgeschäft erzielt. Wie lange diese Umsätze aber noch ausreichen, darüber herrscht in der Branche großes Rätselraten.