: „Davon können andere nur träumen“
Am Dienstag will Andrea Ypsilanti in Hessen Ministerpräsidentin werden – gewählt von Rot-Rot-Grün und mit nur einer Stimme Mehrheit. Der designierte Wirtschaftsminister Hermann Scheer (SPD) glaubt, dass das Risiko lohnt
HERMANN SCHEER, 64, SPD-Politiker und prominenter Kämpfer für Solarenergie. 1999 bekam er den Alternativen Nobelpreis.
taz: Herr Scheer, wird Andrea Ypsilanti am Dienstag hessische Ministerpräsidentin?
Herman Scheer: Alles spricht dafür.
Auch nachdem der SPD-Rechten Jürgen Walter doch nicht im Kabinett sein will?
Das ist eine individuelle Entscheidung von Jürgen Walter, der mit dem Ressortzuschnitt des Verkehrsministeriums nicht einverstanden war. Es ist sein gutes Recht, Nein zu sagen. Er hat aber versichert, die Koalition zu unterstützen. Es gibt keinerlei Grund, daran zu zweifeln.
Warum sind Sie nicht Energie- und Walter Wirtschaftsminister geworden? Warum kein Kompromiss?
Die SPD hat in Hessen im Wahlkampf versprochen, eine neue Energie- und eine neue Wirtschaftspolitik zu machen, und zwar verbunden. Wir haben doch eine dramatische globale ökologische und energiepolitische Krise. Wir brauchen eine dauerhafte, umweltfreundliche Ressourcenbasis, gerade weil der Hunger nach Ressourcen in China und Indien rasant wächst.
Bleiben wir in Hessen. Die SPD ist uneins, und wie nett die Linkspartei zu Rot-Grün sein wird, ist unklar. Sind das nicht zu viele Risiken, um dort Minister zu werden?
Es geht um elementare Fragen. Da sind parteipolitische Egoismen zweitrangig.
Aber auch zwei Drittel der Hessen lehnen Rot-Grün toleriert von der Linkspartei ab.
Das war 1985, als Holger Börner mit den Grünen regierte, genauso. Es gab die gleichen Umfragen. Und es gab die gleichen Kampagnen der Union. Diese Kampagnen werden, bis Andrea Ypsilanti Ministerpräsidentin ist, an Schärfe noch zunehmen.Wir werden uns davon nicht beirren lassen.
Muss Ypsilanti nicht trotzdem auf den Wirtschaftsflügel der hessischen SPD zugehen?
Was, bitte, ist der Wirtschaftsflügel? Hat jemand ein Monopol auf Wirtschaftsfragen? Ich habe im Wahlkampf gemerkt, dass die Idee, entschlossen erneuerbare Energien zu fördern, flügelübergreifend überzeugt hat und sich parteiübergreifend durchsetzen wird. Auch bei der Bauwirtschaft und den mittelständischen Unternehmern in Hessen ist dieser Plan auf viel Zustimmung gestoßen. Es gibt auch in der Wirtschaft Strukturkonservative und Zukunftszugewandte.
Herr Scheer, die Mehrheit für Rot-Grün ist denkbar knapp. Haben Sie nie überlegt, auf das Ministeramt zu verzichten?
Nein, weil das, was ich energie- und wirtschaftspolitisch will, ein Eckpfeiler von Andrea Ypsilantis Programm der sozialen Moderne ist. Damit hat die SPD in Hessen acht Prozent gewonnen – ein Ergebnis, von dem andere gegenwärtig nur träumen können. Wir haben einen Politikwechsel versprochen. Das müssen wir nun einlösen. Ich habe im Wahlkampf Andrea Ypsilanti unterstützt – mich nun zurückzuziehen, würde viele enttäuschen. Damit würde ich mich unglaubwürdig machen.
Abnicken: Am Dienstag will sich Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti von SPD, Grünen und Linken im Landtag zur Regierungschefin wählen lassen. Schon am Freitag will die Linke das Ergebnis eines Mitgliederentscheids bekannt geben. Am Samstag soll ein SPD-Parteitag den Koalitionsvertrag abnicken, am Sonntag eine Landesmitgliederversammlung der Grünen.
Testen: Für Montagabend hat die SPD-Fraktion nun einen weiteren Test angesetzt. Die 42 Parlamentarier sollen erneut zur Probe abstimmen. Die Abgeordnete Metzger hat schon angekündigt, nicht für Ypsilanti zu votieren. Somit braucht diese die Stimmen aller anderen Abgeordneten von Rot-Rot-Grün. TAZ
Streit gibt es über den Frankfurter Flughafen. Die Union sagt: Rot-Grün gefährde mit Auflagen für den Ausbau Arbeitsplätze.
Mit diesem Unsinn hatte die CDU schon im Wahlkampf keinen Erfolg. Rot-Grün hat einen guten Kompromiss gefunden. Die SPD ist ja für den Ausbau, die Grünen sind dagegen. Gemeinsam ist die Position, ein Nachtflugverbot zu erwirken. Das wird Rot-Grün nun versuchen.
Und wie wollen Sie als Wirtschaftsminister Arbeitsplätze schaffen?
In Hessen existiert ein ungeheurer Nachholbedarf an Öko-Energie. Im Bundesschnitt sind 18 Prozent erneuerbare Energien, in Hessen sind es nur 5. Das werden wir ändern, indem wir erneuerbare Energien mittels Raumordnungspolitik zum vorrangigen öffentlichen Belang machen und die bisherige Verhinderungsplanung beenden. So werden zahlreiche Arbeitsplätze entstehen. INTERVIEW: STEFAN REINECKE