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Archiv-Artikel

Auch in der Krise kein Konsens

Mit dem Bündnis für Arbeit scheitert ein zentrales Projekt des Kanzlers. Nun droht der Konflikt. Erste Opfer müssen wohl die Gewerkschaften bringen

von ULRIKE HERRMANN und HANNES KOCH

Deutschland ist nicht Holland. Ein Konsens über die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik scheint hierzulande nicht möglich. „Wir hatten uns mehr erhofft“, hieß es gestern aus Regierungskreisen, „doch die Wirtschaftsseite und die Gewerkschaften haben sich in die Schützengräben begeben.“ Am Montagabend hatte Bundeskanzler Schröder ein Spitzengespräch mit den Tarifparteien ergebnislos abgebrochen. Zwar wurde Wirtschaftsminister Clement (SPD) anschließend beauftragt, in „bilateralen Gesprächen“ mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften weiter nach möglichen „Schnittmengen“ zu suchen. Aber „das Bündnis für Arbeit besteht nicht mehr“, lautet die interne Einschätzung.

Damit ist eines der zentralen Projekte des Kanzlers gescheitert. Um die Dramatik zu überspielen, hieß es gestern schlicht, nun sei quasi der „Zustand vor dem Bündnis“ wiederhergestellt. Allerdings kam die Ergebnislosigkeit nicht unerwartet, und Schröder verstand es, das Nichtereignis in einen Gestus der Stärke zu verwandeln. Dann werde eben die Regierung handeln und „jetzt mit Gesetzesinitiativen vorangehen“. Die Betroffenen könnten sich hinterher äußern. Was meint: Aus einer Konsens- wird nun eine Konfliktstrategie.

Der Termin steht schon fest: In seiner Regierungserklärung am 14. März will Schröder deutlich werden, wer bei den „Strukturreformen“ Opfer bringen muss. Es dürften vor allem die Gewerkschaften sein. Sie sind allerdings nicht die einzigen Leidtragenden: Auch die Rürup-Kommission für die Sozialreformen könnte weitgehend überflüssig werden. Denn der Kanzler muss konkret werden, floskelhafte Ankündigungen reichen nicht mehr, dazu hat er die Erwartungen zu hoch geschraubt. Details werden sorgsam zurückgehalten, die Regierungserklärung muss ja ein Ereignis bleiben. Zudem stehen noch Gespräche mit dem grünen Koalitionspartner an (siehe Interview). Zu vermuten ist jedoch, dass sich Schröder an jenem Papier aus dem Kanzleramt orientieren wird, das kurz vor Weihnachten an die Öffentlichkeit drang und vor allem die Gewerkschaften empörte.

Eine neue Rentenformel

Stichwort Gesundheitsreform: Es scheint ausgemacht, dass die Kosten für die Unternehmen stabil bleiben. Die Beschäftigten hingegen werden bestimmte Leistungen selbst bezahlen müssen, die bisher die Krankenkassen übernommen haben. Die Teilprivatisierung der Rente wird sich in der Gesundheitspolitik wiederholen.

Außerdem soll möglichst bald eine neue Rentenformel her, um die Bezüge der Alten zu drücken. Verwaltungstechnisch formuliert, klang das in dem Kanzleramtspapier vom Dezember so: „Beteiligung auch der Rentner an der Rückführung der konsumptiven Ausgaben.“ Zugleich soll die private Vorsorge zunehmen – im Verwaltungsdeutsch: „Stärkung der Säule Kapitaldeckung.“ Schon damals war man auf der Suche nach Symbolen, um die Reformierbarkeit Deutschlands zu beweisen. Im Dezember hieß das Thema Ladenschluss; nun konzentriert sich die Debatte auf den Kündigungsschutz. Auch hier erwartet niemand viele neue Arbeitsplätze; es geht darum, dass sich etwas „bewegt“. Schröder hat bereits signalisiert, dass er eine Lockerung anstrebt.

Das Unternehmerlager hatte gestern Mühe, seine Freude über das Scheitern der Gespräche zu verbergen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt betonte zwar, man sei „enttäuscht“ über die „Blockadehaltung der Gewerkschaften“. Gleichzeitig hegte er große „Hoffnungen auf eine Wachstumsoffensive des Kanzlers“. Er erwarte eine Rede, die „Heulen, Zähneklappern und Aufschreie“ auslöst. Es schien nicht so, als würde Hundt annehmen, dass seine eigenen Zähne klappern. Im Gegenteil konstatierte er sehr zufrieden: „Was heute zum Teil in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik diskutiert wird, war vor einigen Wochen noch tabu.“

Diesen Eindruck hatten auch die Gewerkschaften. DGB-Chef Michael Sommer sprach gestern „eine deutliche Warnung“ aus: Wer Sozialabbau betreiben oder den Flächentarifvertrag aushebeln wolle, der mache sich „die Gewerkschaften zum Feind“. Und es war klar, dass nicht nur die Arbeitgeber gemeint waren, sondern auch der Kanzler.