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: „Hier und da kleine Spitzen verteilen“

Mimesis und Abstraktion: Die bewusste Verzerrung der Realität in der Malerei von Gerd Lieder

taz: Herr Lieder, Fotorealismus oder abstrakte Malerei: Wie charakterisieren Sie selbst Ihre Arbeit?

Gerd Lieder: Schwierig, denn ich halte mich einerseits für einen gegenständlichen Maler, gleichzeitig sind meine Bilder aber sowohl realistisch als auch abstrakt. Seit über einem Jahrzehnt fasziniert mich das Thema Spiegelung. Egal ob Wasser, Folie, Glas oder andere reflektierende Materialien: verschiedene Oberflächen schaffen durch zum Teil multiple Brechungen des Lichts fremdartige Sichtweisen. Ich fordere den Betrachter auf, eine neue Sichtweise zuzulassen. Man muss die Menschen manchmal zum Sehen „erziehen“.

In der Jahrmarkt-Tradition sorgt das Spiegelkabinett für Belustigung und Groteske. Ist das auch die Philosophie Ihrer Malerei?

Nicht direkt. Meine Arbeit geht sensibel-distanziert an die Realität heran. Ich klage nicht an, möchte aber hier und da kleine Spitzen verteilen. Meine Bilder verweigern sich zum Teil einer realistischen Betrachtung der Umwelt, zugleich beleuchten sie die Andersartigkeit unterschiedlicher Perspektiven.

Also die Spiegelung als Instrument der Abstraktion?

Ja, das Hässlich-Schöne und das Schlicht-Einfache sollen neue Facetten bekommen. Dinge, die schon tausendfach betrachtet wurden, können immer neu entdeckt werden. Mein eigenes geschultes Auge habe ich übrigens seit meiner Kindheit: vom Pilzesammeln, da muss man auch einen geübten Blick entwickeln!

INTERVIEW: NAVO

Fotohinweis:GERD LIEDER, 53, Künstler mit Pilz-geschultem Blick.