: Türkei vor Umfall
Türkische Armee unterstützt Regierung in US-Truppen-Frage. Parteichef Tayyip Erdogan will erneut über Stationierungen abstimmen lassen
ISTANBUL taz ■ Möglicherweise gibt es in der Türkei eine neue Entscheidung über die Stationierung von US-Truppen im Land. Nachdem die türkische Armee sich in der Frage eines Engagements im Krieg gegen den Irak öffentlich lang zurückgehalten hat, ging Generalstabschef Hilmi Özkök gestern in die Offensive und wandte sich überraschend zum Thema Irak an Journalisten.
In einer offenbar zuvor im gesamten Generalstab vorbereiteten Erklärung machte er deutlich, dass die türkische Armee im Gegensatz zur Mehrheit des Parlaments die Stationierung von US-Truppen befürwortet. „Wir unterstützen die Regierung in ihrem Bemühen, die Stationierung von US-Truppen zum Aufbau einer nördlichen Front zu ermöglichen“, sagte Özkök. Eine Nordfront würde den Krieg gegen die Truppen Saddam Husseins verkürzen und außerdem der Türkei die zugesagte finanzielle Unterstützung der USA sichern. Er respektiere die Entscheidung des Parlaments, sei aber überzeugt, dass es möglich sein wird, noch eine allen Interessen des Landes dienende Lösung zu finden.
Die Erklärung von Özkök erfolgte einen Tag nach der Ankündigung von AKP-Chef Tayyip Erdogan vor seiner Fraktion, er sei dafür, im Parlament erneut über die Stationierungsfrage abzustimmen. Sinngemäß sagte Erdogan, nachdem die Abgeordneten beim ersten Mal ihren Gefühlen nachgegeben hätten, sollten sie in einer zweiten Runde kühl überlegen und ihre Verantwortung für das Land wahrnehmen. Noch ist allerdings ungeklärt, ob und wann das Parlament noch einmal über die US-Truppen abstimmt.
Am Sonntag will Tayyip Erdogan bei einer Nachwahl fürs Parlament endlich selbst zum Abgeordneten gewählt werden, um anschließend zum Ministerpräsidenten gekürt werden zu können. Außerdem will er abwarten, ob es den USA gelingt, eine zweite Resolution durch den Sicherheitsrat zu bringen, um dann im Parlament sagen zu können, die Situation habe sich geändert. Im Umfeld von Erdogan geht man deshalb davon aus, dass eine zweite Abstimmung über die Truppenstationierung erst um den 20. März erfolgen wird.
JÜRGEN GOTTSCHLICH