: „Widerstand auf hohem Niveau“
Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg rechnet damit, dass die Castor-Proteste am kommenden Wochenende mehr Zulauf haben werden als in den vergangenen Jahren
Der Wendländische Widerstand gegen den für Montag erwarteten Castor-Transport nach Gorleben beginnt dort am kommenden Samstag ab 13 Uhr mit einer Groß-Demonstration in der Lüchower Straße. Dort gibt es schon erste Redebeiträge und Musik von Schröder Roadshow. Die Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg ruft dazu auf, mit den Treckern bereits um zwölf Uhr in Gorleben Aufstellung zu nehmen. Anfahrt über Laase und Meetschow. Die IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg) hat zu einem „Weißen Block“ von Menschen aus Heilberufen in weißer Dienstkleidung aufgerufen. Um 14 Uhr setzt sich der Demozug in Bewegung in Richtung der Atomanlagen. An dem Atommüllzwischenlager findet ab 15 Uhr die Abschlusskundgebung statt. Durch das Programm führt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (siehe Interview). Geplantes Ende der Veranstaltung ist gegen 19 Uhr. taz
INTERVIEW: GERNOT KNÖDLER
Herr Ehmke, seit 30 Jahren wird im Wendland gegen die Lagerung von Atommüll demonstriert. Befürchten Sie, dass irgendwann keiner mehr kommt?
Wolfgang Ehmke: Die Angst brauchen wir nicht zu haben. Als der erste Castor-Transport mit großem Aufwand Gorleben erreicht hatte, das war 1995, war das für uns gleichbedeutend mit der Inbetriebnahme Gorlebens. Wir hatten Sorge, dass es möglicherweise nicht gelingen würde, den Widerstand über Jahre hinweg auf einem hohen Niveau zu halten. Inzwischen blicken wir auf zehn Castor-Transporte zurück und sehen, dass in der Region die Mobilisierung nicht nachgelassen hat. Im Gegenteil: In diesem Jahr werden etliche mehr nach Gorleben kommen, weil über den ganzen Sommer hinweg die parteipolitische Auseinandersetzung über das Versuchsendlager Asse, das Thema Renaissance der Atomkraft, Atomstrom gleich Ökostrom – bis hin zu Forderungen aus der CDU / CSU, Gorleben endlich fertig zu bauen, die Stimmung mächtig angeheizt hat.
Man sollte ja meinen, mit dem Atomausstiegsbeschluss der rot-grünen Bundesregierung hätte sich das Thema erledigt …
Bundesweit gibt es Anzeichen dafür, dass, nachdem der so genannte Atomkompromiss eingetütet worden war, eine politische Beruhigung eintrat. In der Region stimmt das nicht. Wir haben so etwas erlebt, wie fast 30 Jahre andauernde Anti-Atom-Volkshochschule. Deshalb sind wir die Garanten des Anti-Atom-Projekts geblieben. Das Wendland war der soziale Ort, an dem der Konflikt weiter ausgetragen wurde. Aber wir wissen, dass er nur mit überregionalem Zuspruch wirklich Aufmerksamkeit findet, und dass der politische Druck nicht reicht, wenn nur das Wendland im Aufruhr ist.
Auch das Wendland muss einen Grund haben, um zu demonstrieren. Und der ist nicht mehr so deutlich auszumachen seit dem Ausstiegsbeschluss.
Der Atomkompromiss war kein Ausstiegsbeschluss, sondern er hat die Laufzeiten einvernehmlich zwischen Regierung und Wirtschaft geregelt. Viel schlimmer ist der Passus, in dem der Salzstock Gorleben als „eignungshöffig“ bezeichnet wird. Das hat uns sprachlos gemacht angesichts der massiven geologischen Zweifel, die es schon Mitte der 80er Jahre gab an der Eignung Gorlebens als nukleares Endlager.
Für Gorleben gibt es ein Moratorium. Jetzt soll anderswo in der Republik nach einem geeigneten Ort für ein Endlager gesucht werden. Würde sich an einem anderen Ort nicht eine ähnliche Protestbewegung bilden wie im Wendland?
Zu schön wär’s, um wahr zu sein, wenn die Politik den Mut hätte, einen anderen Standort zu benennen. Für uns gibt eine Prämisse: Wir könnten uns erst mit einer solchen Prognose ernsthaft auseinandersetzen, wenn der Atomausstieg unter Dach und Fach wäre. Aber selbstverständlich würde es auch woanders Protest geben. Den werden wir dann solidarisch unterstützen.
Seit zwei Jahren wird der Klimaschutz heiß diskutiert. Nicht nur Atomkraftbefürworter argumentieren, der deutsche CO 2 -Ausstoß ließe sich drücken, indem man Atomkraftwerke länger laufen ließe. Wäre das denn so schlimm?
Im Moment geht es der Wirtschaft nur um die Deregulierung der Laufzeiten. Sie wollen freie Hand haben, weil jedes Atomkraftwerk, das länger läuft, jährlich zusätzlich 250 bis 300 Millionen Euro in die Konzernkassen spült. Denen geht es nicht um eine gute CO2-Bilanz – denen geht es um eine volle Kasse.
Die Verlängerung wird als Brückentechnologie verkauft, mit der sich zu geringen Kosten Zeit gewinnen ließe.
Atomkraft ist keine Lösung. Die Debatte um die Kinderkrebsstudie belegt, dass es ein Krebsrisiko selbst im Normalbetrieb gibt. Wir AKW-Gegner müssen auch etwas zum Klimaschutz sagen.
Seit Mitte der 90er Jahre wird in Gorleben demonstriert und blockiert. Wäre es nicht an der Zeit, sich neue Aktionsformen zu überlegen?
Unsere Aktionsformen haben sich nicht verbraucht. Eine große Demonstration setzt ein wunderbares Zeichen. Die Blockadeaktionen, wenn Trecker die Straßen verstopfen und wenn Menschen sich auf die Schienen hocken, sind Aktionsformen, die immer noch umstritten sind. Wir haben Demonstrationsgeschichte geschrieben: Ohne die Anti-AKW-Bewegung hätte es nicht das Brokdorf-Urteil gegeben, das sehr demonstrantenfreundlich ist. In den 90er Jahren hat es auch das Blockadeurteil des Bundesverfassungsgericht gegeben: Das besagt, dass Menschen, die sich auf die Straße setzen und es bei diesem Akt belassen, durch das Versammlungsrecht geschützt sind.
WOLFGANG EHMKE, 61, Pressesprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. FOTO: DPA