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Archiv-Artikel

Ein roter Teppich für den Kommerz

Ein Umzug im eigenen Haus und vielleicht auch das Aus: Nach einer Änderungskündigung durch Kreuzbergs Bürgermeisterin müssen Künstlerhaus und Druckwerkstatt ihre angestammten Räume im Bethanien verlassen und mehr Miete bezahlen

Eine „Neusortierung“ des Bethanien ist erwünscht, aber keine „Aussortierung“

von HENRIKE THOMSEN

Seit bald 28 Jahren unterhält das Künstlerhaus Bethanien seine international renommierten und von zahlreichen Sponsoren unterstützen Ateliers und Ausstellungen in einem ehemaligen Krankenhaus in Kreuzberg. Doch damit könnte bald Schluss sein. Der Bezirk möchte neue Mieter in den zentralen Obergeschossen platzieren und von dem bisher nur seine Betriebskosten zahlenden Bethanien mehr Geld verlangen. Ob dieses und die ebenfalls betroffene Druckwerkstatt im Kulturwerk des Berufsverbands Bildender Künstler (bbk) das Geld aufbringen können, hängt vom politischen Beistand ab – genauer gesagt, von Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Flierls Sprecher signalisierte gegenüber der taz Unterstützung.

Am meisten schmerzt es Bethanien-Chef Christoph Tannert, dass er plötzlich „wie ein Schmarotzer“ behandelt werde. Immerhin ist es seiner Institution zu verdanken, dass der Ort das Ansehen entwickelte, das der Bezirk jetzt durch kommerzielle Vermietungen kapitalisieren möchte. Das seltsam unproportionierte Backsteingebäude mit seiner langgestreckten Fassade und den dünnen Türmchen, den breiten Fluren und engen Räumen war in den frühen Siebzigern aufgegeben worden. „In den Krankensälen türmten sich wilde Stapel altersgelber Krankenbetten und Nachtschränkchen, zerbrochener Stühle und geborstener Lampen, die keiner mehr haben wollte“, erinnerte sich der langjährige Leiter Michael Haerdter zum 25-jährigen Jubiläum 2000. Doch das Bethanien lockte Künstler wie Wolf Vostell, Marina Abramovic, Via Lewandowsky oder Ryuji Myamoto mit ihren Arbeiten an. Heiner Müller gab Dramaturgieübungen und der verstorbene polnische Kinoregisseur Kryzstof Kieslowski Regieseminare (unter anderem für Andreas Veiel, der jüngst „Black Box BRD“ drehte). Eine junge Choreografin namens Sasha Waltz bekam hier 1992 ein Stipendium.

Der Nutzen, den das Bethanien für die Stadt und den Kiez leistet, ist in Euro und Cent nicht zu berechnen. Kreuzbergs Bürgermeisterin Carola Reinauer (PDS) aber verweist auf „dramatische Einschnitte“ in ihrem Haushalt und sagt: „Wir haben diesen Kulturträger über Jahre faktisch subventioniert, obwohl er zur Hauptstadtkultur gehört. Das können wir uns nicht mehr leisten.“

Mit einem neuen Nutzungskonzept, das den Namen „Internationales Kulturelles Gründerzentrum“ trägt, will sie Kunden wie die Modeschule ESMOD in die bezirkseigene Immobilie locken. Auch Ausbilder für „Schauspiel und Artistik“, Event- und Veranstaltungsagenturen, „Mehrere Welt Ateliers“, eine Kunstbibliothek, kunsttherapeutische Einrichtungen, Räume für Existenzgründer und Seminare im Kulturbereich sollen in den weit verzweigten Räumen am Mariannenplatz unterkommen. Nicht zu vergessen ein zünftiges Restaurant.

Wo bei alldem das Künstlerhaus und die Druckwerkstatt bleiben sollen, kann die Bürgermeisterin nicht klar beantworten. Nur so viel steht fest: Sie müssten im Haus umziehen, ihre besten Räume aufgeben und ab 1.01. 2004 für jeden Quadratmeter rund drei Euro Kaltmiete zahlen. So will es die „Änderungskündigung“, die Reinauer ihrem Parteikollegen Flierl am 10. Februar zukommen ließ. Denn der Bezirk stellt nicht dem Künstlerhaus direkt, sondern der Senatskulturverwaltung die Immobilie zur Verfügung. Es steht in der Entscheidungsgewalt des Senators, ob er einspringen und neben den Betriebskosten auch das Mietgeld übernehmen würde. Doch Flierl hatte schon im letzten Jahr dem Künstlerhaus finanzielle Kürzungen in Höhe von rund 100.000 Euro verordnet. Seine inzwischen ausgeschiedene Staatssekretärin Christa Tebbe, die jahrelang das ebenfalls am Mariannenplatz ansässige Kunstamt Kreuzberg geleitet hatte, sprach zwar mit Reinauer – aber nur um zu erklären, der Senator allein könne die Zukunft des Bethanien entscheiden. Die Sorge liegt auf der Hand, dass dieser tatenlos zusehen könnte, wenn er heimliche Abwicklungspläne hegt.

Doch Flierls Sprecher Thorsten Wöhlert gab am Dienstag ein klares Bekenntnis zum Künstlerhaus ab. „Wir werden jetzt erst einmal mit dem Bezirk verhandeln. Aber falls die Miete kommt, dann müssen wir uns darum kümmern. Das müssen wir im Haushalt darstellen“, sagte er. Eine „Neusortierung“ des Bethanien sei gewünscht, aber keine „Aussortierung“. Gegen ein neues Konzept sperrt sich auch Christoph Tannert nicht. Dass aber nach seinen Worten „ein roter Teppich für kommerzielle Nutzer“ ausgelegt werden soll, während die Magneten für diese Nutzer und die Garanten der erhofften künstlerischen Synergieeffekte ins Abseits geraten, ärgert ihn mit Recht. Denn für ihr Gründerzentrum braucht Reinauer eine externe Anschubfinanzierung. Sie hofft auf Sponsoren, auf die Unterstützung der Kultursenatsverwaltung und der Lottostiftung. Genau die aber setzen bisher auf Tannert. In dieser Gemengelage zwischen Bezirk und Senat ist tatsächlich zu befürchten, dass das Ganze zu einem weiteren Desaster der Berliner Kulturpolitik ausartet.

Für alle Interessierten gibt es heute um 10 Uhr eine Pressekonferenz mit allen Beteiligten im Foyer des Künstlerhauses.