: In ihren Figuren geht sie auf
Die aus Independent-Produktionen bekannte Schauspielerin Frances McDormand wird Präsidentin der Berlinale-Jury
Frances McDormand wird den Vorsitz der diesjährigen Berlinale-Jury übernehmen. Das ist gewiss eine schöne Nachricht, doch ob sie auch eine gute Vorsitzende sein wird, weiß man jetzt noch nicht. Man weiß überhaupt recht wenig über die 46 Jahre alte Schauspielerin, was die Vermutung nahe legt, dass sie in erster Linie Schauspielerin ist und erst in zweiter Linie ein Star. Den Freunden des Glamours wird das vielleicht nicht gefallen, doch der vernünftigen Beurteilung des Wettbewerbprogramms tut es möglicherweise gut.
Und ganz ohne Strahlkraft ist Frances McDormand natürlich nicht. Immerhin war sie bereits dreimal für den Oscar nominiert und hat die völlig überschätzte Trophäe 1997 für ihre Hauptrolle in dem Film „Fargo“ gewonnen. Sie sagte, sie habe darin die Figur der Marge Gunderson, einer bemerkenswert schwangeren Polizistin, nur spielen dürfen, weil sie mit dem Regisseur geschlafen habe. Allerdings war sie mit dem Regisseur damals schon seit etlichen Jahren verheiratet.
Frances McDormand studierte Schauspiel in Yale, lebte mit den Coen-Brüdern sowie Sam Raimi, Scott Spiegel und Holly Hunter in einer bestimmt sehr interessanten WG, war zunächst vor allem im Theater zu sehen, bis sie 1984 in dem ersten Coen-Brüder-Film „Blood Simple“ ihre erste Filmrolle hatte. Ihre Arbeit kam bei der Kritik gut an. McDormand verstand es daraufhin, die Beziehung zu den Coen-Brüdern zu intensivieren, heiratete den einen (Joel) und machte sich den anderen (Ethan) zum Schwager. Anschließend widmete sie sich wieder der Bühne, wurde 1987 für ihre Rolle in „Endstation Sehnsucht“ für den Theaterpreis Tony nominiert und erhielt erst 1988 mit Alan Parkers „Mississippi Burning“ ihr nächstes größeres Engagement beim Film. Weil man ihre Leistung aber gleich für den Oscar vorschlug, ging es anschließend Schlag auf Schlag.
In den letzten 15 Jahren sah man sie in ungefähr 26 verschiedenen Rollen – als besorgte Mutter in „Almost Famous“, als strenge Rektorin in „Die Wonder Boys“, als lesbische Schuhverkäuferin in „The Butcher’s Wife“ oder demnächst als alternde Musikproduzentin in „Laurel Canyon“. Dabei besitzt sie das relativ seltene Talent, derart in ihren Figuren aufzugehen, dass man sie beim Zuschauen gar nicht erst als Frances McDormand registriert. Das kommt zwar stets der jeweiligen Rolle zugute, steht aber möglichwerweise ihrem Aufstieg in Hollywoods ruhmreiche Höhe im Wege.
Es trifft sich gut, dass Frances McDormand sich um derlei Feinheiten nicht schert: „Ich bin eine Charakterschauspielerin, ganz schlicht und einfach. Und was soll ich mich dabei um meine Karriere sorgen? Filmstars haben Karrieren, Schauspieler hingegen arbeiten. Und dann arbeiten sie mitunter nicht, und dann fangen sie wieder an.“ Ob der Vorsitz der Berlinale-Jury nach der McDormand’schen Definition in den Bereich der Arbeit fällt, bleibt in diesem Zusammenhang schwer zu sagen, wird sich aber in wenigen Wochen erweisen. HARALD PETERS