: Mangel an Sein macht müde
Konsumieren ist Arbeit und Angst haben auch: „Freedom, Beauty, Truth & Love. Das revolutionäre Unternehmen“ heißt die neue Pollesch-Folge. Es gibt sie als Zeitungsbeilage und als Aufführung. Mit Banküberfällen und Friseurladenbesuchen
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Von Texte zur Kunst bis Jungle World: Ein Pollesch, das geht noch mit, das kann nicht verkehrt sein in Zeiten, wo selbst Diskurse verkaufsfördernd sexy auszusehen haben. Das weiß keiner besser als René Pollesch, der im Verkaufen und Bezahlen die einzigen Wertmesser für Gefühle sieht. Zumindest klingt das immer so. Im Interview in Texte zur Kunst bestätigt er: „Dass ich die besten Erlebnisse gekauft habe, ist zentral für mein Leben.“ Das kann kaum einer so schön wie er, die verkaufsfördernde Oberfläche als das Allerauthentischste hinstellen.
Der Wochenzeitung Jungle World liegt Polleschs Text „Freedom, Beauty, Truth & Love. Das revolutionäre Unternehmen“ als Beilage bei, zumindest in den Räumen der Volksbühne. Die roten Überschriften über den schwarzen, fast absatzlosen Textblöcken bilden griffige Logos: „Die Liebe kann auch als Banküberfall realisiert werden“, „Die Erotik der Registrierkasse“, „Wertschöpfung durch absolute Hingabe“. Da weiß man, was man hat. Banküberfälle, Erlebniskauf und Friseurladenbesuche bilden die Situationen, aus denen gesprochen wird. Konsumieren ist Arbeit und Angst haben auch, aber die Bezahlung für beides noch nicht befriedigend geregelt.
Die Texte entwickeln gelesen einen ungeheuren Sog und Tempo, das anzieht auf der Spur von Panik und Lust. Sie schrauben sich hinein ins Paradoxe bis zu einer Klimax – Unternehmenstheorie im pornografischen Rhythmus. Der einzige Ausstieg aus der Ökonomisierung aller Beziehungen wird mit der Frage versucht „Willst du meine Mutter sein?“, was schwierig zu realisieren ist. Hingegen generiert selbst der „revolutionäre Unternehmer“, wie der Bankräuber oder der Attentäter, eine handelbare Ware in den Bildern des Leides, die seine Aktion begleiten und als Gefühlssteigerung verkauft werden.
Und aufgeführt? Na ja, da bestätigt sich so mehr die unter der Hand gemurmelte Faustregel – jeder dritte Pollesch reicht auch. Niemand wundert sich ernsthaft, dass bei diesem schnellen Stückausstoß die Produkte einander immer ähnlicher werden. Das passt zum Inhalt: Die Homogenisierung des Erlebens ist schließlich ein Ergebnis einer sich ständig perfektionierenden Unternehmenskultur. Zudem schien Pollesch die Erkennbarkeit als Label schon immer wertvoller als der Anspruch von Originalität, eine bürgerliche Illusion. Schließlich begegnen die Schauspieler seinen Textmassen zunehmend mit sportiven Ehrgeiz: speichern, abrufen.
Jetzt aber zeigt die Truppe Ermüdungserscheinungen. Astrid Meyerfeld und Caroline Peters sind immerhin noch Schauspielerinnen von abendfüllendem Format: Sie sind versiert in dem Spiel, als Textmaschinen doch wieder an einem Mangel zu leiden, wohl dem Mangel an einem Sein in den illusionären bürgerlichen Kategorien, der sie verletzbar und damit anziehend macht. Zwei Jungs spielen noch mit, deren Anziehungskraft dagegen im Verborgenen liegt.
Der schlappe Umgang mit dem Text aber ist schon deshalb schade, weil so sein Witz und seine Intelligenz von einer Monotonie überrollt werden, die sich als Langeweile ausbreitet. Das Bühnenbild von Bert Neumann, die Neustadt mit ihren breiten Treppe und den Hotel-Etagen auf der Drehbühne, wird gleichgültig bespielt – eher wie etwas, das man nun auch noch bedienen muss, denn als inspirierende Schnittstelle von Realität und Simulation. Statt wiederholte Bilder vom 11. September in New York auf Video einzublenden, zynisch begleitet von einem Duett aus „Anny get your gun“ („Everything you can, I can do better“), wäre mehr kompositorische Sorgfalt wünschenswert gewesen. Das Kokettieren mit dem popkulturellen Komplex, das ständige Einspielen von Songs, erscheint einem schließlich als inszenatorische Faulheit.
Vielleicht ist der Fehler, dass Pollesch als Autor und Regisseur zu sehr mit sich selbst identisch ist. Er versteht seine eigenen Stücke zu gut, um da noch Widerstand zu spüren oder Überraschungen zu suchen. Für jemand, der die Labelproduktion vor der Autorschaft hochhält, macht er auch viel zu viel selbst.
Nächste Aufführungen: 9. 3., 22 Uhr; 11. 3., 11 Uhr; 13. 3., 22 Uhr; 14. und 15. 3., 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte