: Zu pingelig zum Vergessen
Der ehemalige Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes bezeichnet den plötzlichen Gedächtnisverlust des früheren Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier im Müllprozess als reine Taktik
VON FRANK ÜBERALL
Die Erinnerungslücken des ehemaligen Kölner Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier (SPD) im Müllprozess ziehen immer weitere Kreise. Der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes (SPD) äußerte gegenüber der taz Zweifel an Ruschmeiers plötzlichem Gedächtnisverlust. Ruschmeier hatte sich völlig ahnungslos gegeben, als er zu den Vorgängen zum Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage Stellung nehmen sollte. Bei dem Projekt waren elf Millionen Euro Schmiergelder geflossen.
Die Darstellung des Ruschmeier-Anwalts, dieser habe sich höchstens einen halben Tag im Monat mit der Müllverbrennung beschäftigt, sei kaum zu glauben: „Es hat mich sehr verwundert, dass er so wichtige Dinge zu erledigen hatte, dass das so nebenher ging.“ Der Müllofen sei in Köln „seit Menschengedenken die größte Investition“ gewesen. Ruschmeier sei ein „pingeliger Verwaltungsbürokrat“ gewesen, erinnerte sich Antwerpes: „Und das muss man bleiben. Da kann man nicht eines Tages sagen, ich kann mich nicht mehr erinnern, dass ich verwaltet habe.“
Bei mehreren Treffen habe er sich in den Neunzigerjahren davon überzeugen können. „Ich hatte immer den Eindruck, der wollte von mir Fleißkärtchen beim Gespräch überreicht bekommen, weil er alles wusste.“ Ruschmeier schätze er als „überdurchschnittlich intelligent“ ein. Er sei ein Mann gewesen, der sich stets um viele Einzelheiten gekümmert habe. Der angebliche Gedächtnisverlust sei wohl nur eine Taktik, so der ehemalige RP. „Bisher ist er damit ja auch gut durchgekommen.“ Schließlich seien frühere Ermittlungsverfahren gegen den einstigen Verwaltungschef in dieser Sache eingestellt worden, und Ruschmeier sei auch nicht wie Antwerpes zum Parteispenden-Untersuchungsausschuss in den Bundestag vorgeladen worden. „Aber jetzt hat er es vielleicht ein bisschen übertrieben...“ Das könne ihm jetzt zum Verhängnis werden, weil er den Richter verärgert habe. „Der begibt sich doch in ein Minenfeld, wo er die Minen selbst gelegt hat.“
In der Tat wird es für Ruschmeier ungemütlicher. Die Staatsanwaltschaft hat gleich zwei neue Akten angelegt. Zum einen wird er der Falschaussage verdächtigt. Dafür könnte er eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe bekommen. Zum anderen steht aber auch der Verdacht der Beihilfe zur Untreue (bis zu drei Jahren und neun Monaten) oder Strafvereitelung (bis zu fünf Jahre) im Raum.
Antwerpes betonte, Ruschmeier habe als früherer Aufsichtsratsvorsitzender der Müllfirma AVG eine besondere Verantwortung. Die Geschäftsführung sei rechtlich verpflichtet gewesen, ihn umfassend über alle Vorgänge des Unternehmens auf dem Laufenden zu halten. Die Darstellung, er habe sich ganz auf Geschäftsführer Ulrich Eisermann verlassen, sei deshalb nicht nachvollziehbar. „Ich glaube nicht, dass Ruschmeier Geld genommen hat“, urteilte Antwerpes gegenüber der taz. „Aber mit Sicherheit hat er die Vorgänge damals akribisch begleitet.“