haute couture (2)
: Bisweilen fällt ein Hauch zu Boden

Bei Chanel streckt Karl Lagerfeld den Körper. Christian Lacroix präsentiert Abendkleider, die Hausmäntel zitieren

Es ist ein Ereignis: Die Einladung zum Chanel-Defilee gilt es trotz Akkreditierung Wochen vorher bei Chanel zu erbitten. Wer das versäumt, für den kann man „nichts mehr tun“. Welche Dramatik: Sicherheitsvorschriften, gewiss; aber auch Konstruktion des Exklusiven. Am Eingang bei Chanel warten Paparazzi wie bei jeder großen Schau. Einladung vorzeigen und Ausweis: Für Kylie Minogue gilt das nicht. Frau Minogue ist recht klein. Wenn sich die Aufmerksamkeit auf sie konzentriert, ist eine große Frau frei wie ein kleiner Vogel. Hüftschwung, Augen zu und immer fest an den journalistischen Auftrag denken. Geht doch.

Als alle sitzen, ist Salonatmosphäre, und die Models machen eine große, langsame Runde auf dem weißen Teppich. Karl Lagerfeld hat für Chanel einige zauberhafte Modelle geschaffen; sie sind dort am schönsten, wo er das klassische Chanelkostüm sanft ins Legere führt, ohne die Sachlichkeit Chanels zu verlieren. Da ist das Kostüm aus apricotfarbenem Wollbouclée: Die Jacke mit Stehkragen ist an den Blousonschnitt angelehnt, der tief sitzende Bund verschiebt die Taille nach unten. Dazu ein Stiftrock: der Körper in Streckung trotz des Volumens der Jacke. Zu den adoleszenten Körpern allerdings sind allein die bestickten Ballonröcke aus Chiffon hübsch. Dazu das silbrig-bestickte Oberteil mit Flapper-Girl-Charme: Ragt hier ein schwindsüchtiger Arm heraus, bleibt er immerhin dem Thema treu. Aus dem Kostüm hingegen wächst er heraus wie ein just entblätterter Ast, der im Wind noch ein wenig nachschwingt. Für die dekorativ-kokette Pose ist „ein Chanel“ einfach nicht gemacht – dafür ist in jeder noch so couturigen Variation genug vom Original, der tatkräftigen Mademoiselle, enthalten.

Christian Lacroix setzt dem Pastell Chanels kräftige Farbe und big hair entgegen. Koralle, Pink und Fuchsia gehen durchaus zusammen, wenn sie nur von einer Federboa zusammengehalten werden. In der Tagesmode ist das zentrale Accessoire die Strumpfhose: auch sie von leuchtender Farbe, die Kleider aus Seidentaft knielang und ausgestellt, die Taille schmal. Für den Abend wird es fantastischer, vor allem aber leicht. Es sind schwebende Wesen,die Lacroix inszeniert. Wie sich das weich-transparente, bunt bedruckte Material an den Körper heranspielt, von nichts als dessen Konturen gehalten: Da ist keine Korsage, keine feste Hülle, die die Linie definieren wollte. Seidensatin streift über die bloße Haut, Volants schwingen in mehreren Lagen gegen den Körper. Es sind Abendkleider, die den seidenen Hausmantel mitdenken: Haute Couture kurz vor dem Déshabillé.

Bisweilen fällt ein Hauch zu Boden; „Jacke“ ist ein viel zu stofflicher Begriff. Als kleines Häuflein Seide bleibt er auf dem Laufsteg zurück – wie ein verlorenes Taschentuch. Es lässt sich angesichts so großer Schneiderkunst leicht vergessen: Der Versuch, Gegenwart in Stoff zu fassen, kann schrecklich enden. Ji Haye bringt es ins Bewusstsein zurück. Die gigantische schwarze Schleife vor der Brust, die dort unentschlossen pendelt, all die anderen, kleineren Schleifen, aus denen das Restkleid so bastelfreudig geformt ist. La femme, la femme. Weg ist sie. Und zurück bleibt ein hässliches Geschenk.

KATRIN KRUSE