heute in bremen
: „Das war der Testlauf“

Ludger Heid erklärt in der Villa Ichon, wie die Polen-Aktion zur Reichspogromnacht führte

taz: Herr Heid, jeder kennt die Reichspogromnacht, kaum jemand die so genannte Polen-Aktion…

Ludger Heid, Historiker: … die zu ihrer unmittelbaren Vorgeschichte gehört.

Worin bestand sie?

Polen hatte verfügt, dass alle Staatsbürger, die während des Ersten Weltkriegs ins Ausland gezogen waren, ihre Pässe kontrollieren lassen müssen. Andernfalls würden sie ihre Staatsbürgerschaft verlieren. Davon waren in Deutschland etwa 30.000 Juden betroffen. Die deutsche Regierung dachte, deren Staatsbürgerschaft würde nicht verlängert.

Das wollte sie wohl auch glauben?

Ja, aber die polnische Obristenregierung war auch kaum weniger antisemitisch als die Nazis. Jedenfalls wurden in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 17.000 polnische Juden aus den Betten heraus in Abschiebehaft genommen und sofort in Zügen nach Polen gebracht. Das war der Testlauf für das, was ab 1941 kommen sollte – die erste Massendeportation aus Deutschland.

Das hört sich nicht nach einer spontanen Reaktion auf eine polnische Verfügung an?

Natürlich. Die war der Anlass, auf den die Nazis gewartet hatten. Die Sonderzüge standen schon bereit – die Opfer beziehungsweise die jüdischen Gemeinden hatten die Kosten zu tragen: Das war für die Reichsbahn ein Millionengeschäft. Zu den Verhaftungen kam es in allen deutschen Städten, auch in Bremen, wo über 100 Juden verschleppt wurden, oder in Hannover, wo die Familie Grynszpan lebte…

von Hershel Grynszpan?

Ja, die Eltern und ihre Töchter. Seine Schwester Bertha schrieb Herschel eine Postkarte nach Paris, in der sie ihm von der Aktion berichtete. Das war für ihn der Auslöser, sich einen Revolver zu besorgen und in die Botschaft zu gehen – wo er auf den Legationsrat von Rath schoss, der am 9. November starb: Das Bekanntwerden seines Todes fiel zusammen mit dem Veteranentreffen des Hitler-Putsches in München. Goebbels eilte sofort an die Telefone und gab Anweisungen für die Novemberpogrome.

FRAGEN: BES

Dr. Ludger Heid, „Die Polen Aktion im Oktober 1938“, Villa Ichon, 20 Uhr