„Kleine Leute gegen die Mächtigen“

Gewerkschaften und Atombewegung haben mehr gemeinsam als man denkt. Das behauptet Hartmut Meine, Hauptredner bei der morgigen Castor-Demonstration in Gorleben und IG Metall-Bezirkschef in Niedersachsen

taz: Herr Meine, Sie sind Hauptredner bei der Gorleben-Demonstration am Samstag – fordert die IG Metall da acht Prozent mehr Castor-Protestler als beim Transport 2006?

Hartmut Meine: Das wäre schön! Vor allem möchte ich aber darauf hinweisen, dass die IG Metall seit langer Zeit klar Position gegen die Nutzung von Atomenergie bezogen hat. Auch der Widerstand gegen Schacht Konrad in Salzgitter wird von der örtlichen IG Metall getragen – die Abluftschächte des Atommüll-Endlagers stehen auf dem Gelände der ehemaligen Preussag. Wenige Meter entfernt arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen.

Aber warum will die IG Metall nun in Energiepolitik statt in Klassenkampf machen?

Die Tarifpolitik bleibt unser Kerngeschäft. Aber die IG Metall versteht sich auch als eine politische Bewegung. Ich würde beispielsweise auch auf einer Veranstaltung von Amnesty International reden.

Was wird die Botschaft Ihrer Rede sein?

Anti-Atomkraft-Bewegung und Gewerkschaften haben mehr gemeinsam, als viele glauben. Wer schafft es denn zur Zeit noch, Widerstand zu organisieren? Die IG Metall hat im derzeitigen Tarifkonflikt mehr als 350.000 Menschen bei Warnstreiks auf die Straße gebracht, ich hoffe auf einen starken und friedfertigen Protest gegen den Castor-Transport am Wochenende. Einmal geht es gegen die Atomlobby, das andere Mal gegen die großen Konzerne, im Kern ist es eine Auseinandersetzung der „kleinen“ Leute gegen die Mächtigen. Und es geht gegen die Politik: CDU und FDP wollen den Atomkonsens kippen, aber auch häufig genug Arbeitnehmerrechte beschneiden.

Das heißt, Sie geben für die Bundestagswahl 2009 eine Empfehlung gegen Schwarz-Gelb?

Als Gewerkschaften geben wir keine Empfehlung ab. Die Arbeitgeberfreundlichkeit von CDU und FDP ist aber schon auffällig, außerdem steht Schwarz-Gelb für Atom. Eine schwarz-gelbe Koalition ist die schlechteste Lösung – sowohl für die Beschäftigten als auch für die Anti-Atombewegung.

Viele Kollegen von der IG BCE demonstrieren wohl nicht in Gorleben – warum gibt es keine Einigkeit in der Atomfrage?

Ich kann nur für die IG Metall sprechen.

Wer gegen Atomkraft plädiert, muss die erneuerbaren Energien unterstützen. Die Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind aber prekär. Ist das kein Widerspruch für Sie?

Das ist eine Medaille mit zwei Seiten: Der Bau von Anlagen für Windenergie und Solarsysteme sichert in Deutschland inzwischen zehntausende Arbeitsplätze. Aber gerade hier haben Betriebsräte und Gewerkschaften Seltenheitswert. Windräder und Solarzellen werden in Deutschland überwiegend in tariffreien Zonen und zu Billiglöhnen hergestellt. Nur ein Beispiel: Es ist ein Skandal, dass ein Unternehmen wie der Windradbauer Enercon auf der einen Seite systematisch versucht, Betriebsräte zu verhindern und auf der anderen staatliche Fördermittel erhält, und der Besitzer von Enercon, Aloys Wobben, auch von vielen sozialdemokratischen und grünen Politikern hofiert wird.

Haben Sie wenigstens schon mal im Wendland mitdemonstriert?

Ich habe 1979 das Hüttendorf in Gorleben besucht. Auch einen „Atomkraft nein danke“-Sticker hatte ich damals an meinem Auto kleben.INTERVIEW: KAI SCHÖNEBERG

Fotohinweis:HARTMUT MEINE, 56, ist Wirtschaftsingenieur, seit 1998 Leiter des IG Metall-Bezirks Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.