piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Barbecue in 21 Tagen

Zur „American Season“ lädt das English Theatre Berlin ein. Mit der Uraufführung von Lydia Stryks Stück „American Tet“ will es die Lebenswelt einer Army-Familie beschreiben

Barak Obama ist weit entfernt an diesem Abend. Zwar ist es erst gut zwölf Stunden her, dass er in Washington seinen Sieg erklärt hat. Doch von Hoffnung ist auf der Bühne des English Theatre Berlin nichts zu spüren, das am Abend nach der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl mit der Deutschen Erstaufführung von Lydia Stryks Stück „American Tet“ seine neue Spielstätte in der Kreuzberger Fidicinstraße eröffnete. Und gleich tief in die US-amerikanische Provinz in den Garten irgendeiner Vorstadt führt, wo man auf schäbigen Plastikstühlen sitzend Elaine und Jim, einem behäbigen Paar Mitte fünfzig, begegnen kann.

Ein Stück Friedensarbeit

Schon in den ersten Gesprächsfetzen erfährt man grausige Details über schwerverletzte oder traumatisierte Kinder und begreift schnell: Wir haben es mit einer „Army Family“ zu tun, in der seit drei Generationen der US-amerikanische Freiheitsbegriff mit der Waffe verteidigt wird. Der Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg, der Vater in Vietnam. Tochter Amy, die einen Schreibtischjob in der lokalen Army-Base hat, erzählt von traumatisierten Kollegen, die von einem Irakeinsatz zurückkamen. Der Sohn der Familie ist dort als Militärpolizist. In 21 Tagen kommt er auf Heimaturlaub, weshalb man ein Barbecue zu seiner Begrüßung plant. Der Freundin hat eine Bombenexplosion das Gesicht weggerissen.

Mit jeder Szene dringt man tiefer in die Lebenswelt dieser Familie ein, die dem Tod zunächst mit professioneller Lakonie entgegentritt. Die Mutter arbeitet ehrenamtlich als Betreuerin junger Soldatenfrauen. Der Vater ist Vietnaminveteran. Einst entlaubte er die Wälder mit Agent Orange, dessen Dünste auch seine Lunge zerstörten. Nun ist sein kleiner Garten Lebensinhalt.

Seit 1990 gibt es das English Theatre Berlin, das bis 2004 „Friends of the American Opera“ hieß und das mit Lydia Stryks starkem Stück endlich die langerwartete neue Spielstätte eröffnen konnte, die Berlins einziges englischsprachiges Theater sich nun mit dem „Theater Thikwa“ teilt. 70–80 Prozent der Zuschauer seien Deutsche, die oft lange im Ausland gelebt hätten, sagt Pressesprecherin Antje Grabenhorst. Eine zweite wichtige Zielgruppe des Theaters sind Schulen. Diese Spielzeit ist aus Anlass der Botschaftseröffnung am Pariser Platz und der Präsidentschaftswahl nun mit „American Season“ überschrieben. Im Foyer sitzt auch eine Gruppe irakischer Theaterleute, die vom deutsch-irakischen Theatertreffen im Theaterhaus Mitte zur Premiere gekommen sind. „Das ist ja auch ein Stück Friedensarbeit“, sagt Antje Grabenhorst, „dass die Iraker sehen, hier beschäftigt sich eine amerikanische Autorin mit dem Krieg im Irak.“

Vielmehr mit dem, was der Krieg mit jenen macht, die ihn führen. Und mit dem Traum vom American Way of Life, der zunehmend an Sinn für die Beteiligten verliert. Die 1958 in den USA geborene und in Berlin lebende Lydia Stryk hat ein ziemlich beeindruckendes Stück geschrieben, das sich keine wohlfeile Moral leistet oder seine Figuren denunziert. Sie liefert vielmehr eine sehr authentische Zustandsbeschreibung jenes tief verunsicherten US-Amerika, das sich nun Barack Obama zum Präsidenten wählte. Man würde es gerne mal auf einer größeren Bühne sehen.

Moon Suk aus Korea

Was auf keinen Fall gegen Daniel Krauss’ Inszenierung spricht, ein dichtes Kammerspiel. Die Schauspieler packen die Zuschauer bei den Gefühlen. Helena Prince als patente amerikanische Hausfrau mit emotionalen Abgründen, Peter Gilbert Cotton als redneckhaftes tumbes Familienoberhaupt, dessen Dumpfheit aber ein Kriegstrauma bändigt. Christian Serritiello als Sohn Danny, Jill Hollwerda als elfenhaft-rebellische Tochter oder Vanessa Rottenburg, die als schwerverletzte Freundin eine einzige Anklage gegen die Sinnlosigkeit des Krieges ist.

Und Moon Suk aus Korea, die als Dichterin und als Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins bekannt wurde, spielt die vietnamesische Angestellte eines Chinarestaurants, die ihre Familie im Vietnamkrieg verlor. Sie funktioniert das Catering des Begrüßungsbarbecue für den Sohn zum vietnamesischen Tet-Fest um. Jenem Neujahr, an dem auch die Toten mit dem Lebenden wieder am Tisch sitzen.

ESTHER SLEVOGT

Wieder im English Theatre Berlin, Fidicinstr. 40, 7./8./11. –14./18. –22. November um 20 Uhr