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Archiv-Artikel

Gegen die Lethargie

Vom Kunststück, in der Traumfabrik Hollywood widerständiges Kino zu produzieren: Ang Lees „Der Eissturm“ zeigt, dass es möglich ist, auch mit Starbesetzung die Wahrhaftigkeit einer Story nicht zu übertünchen

Seit Ang Lee mit der Verfilmung von Hulk belanglosestes US-Kino abgeliefert hat, scheint auch er, wie so viele talentierte Regisseure vor ihm, von der Maschine Hoolywood zerrieben. Eigentlich war das schon bei Tiger & Dragon zu befürchten, der trotz aller Gefälligkeit offenbarte, wie Hollywood funktioniert: Oberflächen, aber nur diese – dafür aber sogar ethnische –, werden übernommen, das Andere „fremder Kulturen“ zur hippen Staffage umfunktioniert, um anschließend das Ganze den American Dream affirmieren zu lassen.

Wie sehr anders war das doch noch zu Zeiten von Der Eissturm. Da gelang Ang Lee das selten gewordene Kunststück, in der Traumfabrik widerständiges Kino zu produzieren. Im Mittelpunkt des Films stehen zwei weiße Mittelstandsfamilien – zweimal Vater, Mutter, zwei Kinder. Die 1970er Jahre machen diesen Bewohnern des US-Wohlstands schwer zu schaffen. Gegen die Lethargie des von Nixon lahm gelegten Landes versucht man sich mit Ehebruch, Alkohol und pseudoliberalem Tratsch zu helfen.

Einzig die Kinder dieser verlorenen Elterngeneration scheinen noch eine Vision zu haben – und seien es auch nur pubertäre Doktor-Spielchen oder die närrische Verliebtheit eines Collegeschülers. Die Erwachsenen dagegen benötigen schon eine Grenzerfahrung, um überhaupt etwas zu spüren. Die kommt mit einem Eissturm. Da bleiben Züge stehen, Straßen werden unpassierbar, Stromausfälle halten die Zeit an. Und dann opfert sich ein Kind, um den Großen klar zu machen: Langeweile und Entfremdung entkommt man mit Selbstmitleid nicht.

Auf solche Filme aus Hollywood zu hoffen, traut man sich heute kaum noch. Vielleicht hat das mit den Anschlägen vom 11. September zu tun, vielleicht auch mit dem endgültigen Siegeszug marktstrategischer Erwägungen gerade im Unterhaltungssektor.

Der Eissturm aus dem Jahr 1997 ist jedenfalls ein Beispiel dafür, dass Starkino – schließlich spielen in diesem Film unter anderem Sigorney Weaver, Elijah Woods, Christina Ricci und Kevin Kline mit – nicht per se langweilt. Ang Lee schöpfte bei diesem Drama produktionstechnisch bereits aus den Vollen, wie Ausstattung, mise en scene und natürlich die Besetzung zeigen. Aber damit übertünchte er nicht die Story, sondern unterstrich ihre Wahrhaftigkeit. Und heute: Hat Hollywood Ang Lee gefressen?

Gerd Bauder

morgen+ 30.1., 17 Uhr, Abaton; 31.1.+1.2., 16.45 Uhr, 3001; 3.2., 17 Uhr, 4.2., 22.30 Uhr, Zeise