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: CHRISTOPH SCHULTHEIS über doofe Kolumnen, Trendsetter und andere Unappetitlichkeiten

Ecce Medienseite

Sie lesen gerade Zeitung, wie? Die ersten acht, nein, zehn Wörter eines Textes auf der Medienseite, um genau zu sein. Ja ja, offenbar sind Sie über die ersten acht bis zehn Wörter gestolpert und nun immerhin bereits an dieser Stelle hier angelangt. Oder an dieser. Und haben es schon bereut? Womöglich glauben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, da kommt noch was, muss noch was kommen, kann doch so nicht weitergehen, Zeile um Zeile! Und unter uns: Es könnte. Zum Beispiel könnte einfach alles so weitergehen. Bis Sie allmählich die Lust verlören – am Weiterlesen oder an so einer Medienseite, auf der Sie sich schließlich mitten in einem Text wiederfänden, an dem Sie allmählich die Lust verlören.

Aber Sie sind ja immer noch da. Und wo waren wir? Ach, genau: Masturbation. Derzeit beschäftigt sich ja der Berliner Tagesspiegel auf seiner Medienseite mit Medienseiten. „Wozu Medienseiten?“ steht dort seit vier Wochen und in loser Folge über dazugehörigen Artikeln. Und wer weiß, womöglich ist die Frage ja berechtigt. Oder wenigstens eine, auf die sich Antworten fänden. Von Chefredakteuren beispielsweise und insbesondere. Meinethalben auch von verantwortlichen Medienredakteuren. Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, Sie sind ja auch noch da. Ähm, sind Sie doch, oder?

Außerdem haben sich doch längst schon ganz andere mit dem Thema beschäftigt: die Zeit etwa, die mittlerweile (um Reinhold Beckmanns doofe Kolumnen oder sonstwen loszuwerden) ohne Medienseite auszukommen glaubt; oder die ta… – pardon, die Frankfurter Rundschau, die, so hört man, wie ein Trendsetter weg wollen soll vom üblichen Medienseitenkonzept und zurück zum gepflegten, service-orientierten Neue-Fernsehserie-hier-neue-Zeitschrift-da, aus dem dieser ganze unappetitlich-inzestuöse, intrigant-beliebige, halbinformiert-hämische, hintergründig-desinformierende, uninteressante, ungerechte, so genannte integrative Medienseitenmolloch seit knapp 20 Jahren Zeile um Zeile entstanden ist. Sie wissen schon: Pfui Spinne!

Na, jedenfalls ist beim Berliner Tagesspiegel aus dem schönen „wozu“ dann doch nur eine Debatte geworden. Mit Beiträgen von namhaften Leuten aus der redaktionseigenen Adresskartei (von J wie Jürgs bis J wie Janke), die sich die Medienseiten letztlich bloß besser oder noch besser wünschen. „Gut gemachte Medienberichterstattung hat deshalb ihre volle Berechtigung“, hieß es da beispielsweise. Und anderntags: „Ja? Nein? Vielleicht?“ Die eigentliche Frage allerdings bleibt unbeantwortet und wirft stattdessen eine neue auf. Wieso, fragt man sich, fragt man sich eigentlich nicht: Wozu Feuilleton? Wozu Vermischtes? Wozu Sport-, Reise, Meinungs-, Wirtschaftsseiten? Wozu seitenweise Politik? Doch wozu auch? Die Hamburger Wochenzeitung Die Woche hat es längst vorgemacht. Beziehungsweise dicht. Sie erinnern sich bestimmt: Fast auf den Tag genau ein Jahr ist das jetzt her. Aber ich schweife ab. Dabei wollt ich doch die ganze Zeit eigentlich was ganz anderes … – Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!