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Archiv-Artikel

Ein Virus, viele ungelöste Fragen und wenig Gewissheiten

Der Virus der Vogelgrippe verändert sich. Ein Impfstoff ist erst in Monaten zu erwarten. Die Übertragung nach Europa ist derzeit unwahrscheinlich – ausschließen lässt sie sich nicht

BERLIN taz ■ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht vor einem Rätsel. Bei sieben der acht bisher durch die Vogelgrippe umgekommenen Opfer handelt es sich um Kinder. „Warum Kinder diesen hohen Preis für die Ansteckung zahlen“, so WHO-Sprecherin Fadela Chaib gestern in Genf, „ist weiterhin die große Frage.“ Auch sei der genaue Ansteckungsweg noch unklar. Bisher zumindest ist aber noch kein Fall nachgewiesen, dass der Virus von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann.

Das wäre für die WHO und die Gesundheitspolitiker in aller Welt der Ernstfall. Eine weltweite Ausbreitung des Virus könnte dann nur noch mit strenger Quarantäne der Infizierten verhindert werden – oder mit einem effektiven Impfstoff. Doch der steht nach Angaben der WHO vermutlich erst in ein paar Monaten zur Verfügung. Auch wenn für Menschen, die keinen direkten Kontakt mit infizierten Tieren oder daraus hergestellten Produkten haben, keine Gefahr besteht – für viele Geflügelarten ist die Infektion tödlich. Befallene Tiere leiden unter Atemnot, Durchfall, Fieber und legen keine Eier mehr. Die Zeit zwischen einer Infektion und dem Auftauchen erster Krankheitssymptome beträgt nur wenige Tage. Bei etwa 90 Prozent der Tiere endet die Krankheit mit dem Tod.

Übertragen wird der Virus durch Federn und Kot. Auch Wildtiere, Tauben oder Enten können den Virus über weite Strecken verbreiten. Einige Tierarten, wie zum Beispiel Enten, können zwar Träger des Virus und auch Ausscheider sein, erkranken aber nicht. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Infektion nicht sofort erkannt wird. Eine neue Krankheit ist die jetzt in Südostasien grassierende Vogelgrippe nicht. Schon mehrfach wurden in der Vergangenheit aus verschiedenen Weltregionen Ausbrüche der durch Viren ausgelösten Infektionserkrankung gemeldet, unter anderem aus den Niederlanden, Italien, Hongkong, Pakistan, Mexiko, Australien. Es gibt gar Hinweise, dass die Vogelgrippe schon Anfang des vorigen Jahrhunderts in Großbritannien grassierte. Auch damals sollen sich Menschen infiziert haben.

Internationale Schlagzeilen lieferte vor allem der Ausbruch der Vogelgrippe 1997 in Hongkong. Achtzehn Menschen infizierten sich damals mit dem Auslöser der Vogelgrippe, für sechs davon war die Krankheit tödlich. In Europa gab es im vergangen Jahr Vogelgrippenalarm. Über 20 Millionen Hühner wurden in den Niederlanden getötet, um die Infektion in den Griff zu bekommen. Ein Tierarzt erkrankte tödlich.

Auslöser der Vogelgrippe in den Niederlanden war jedoch ein Virustyp, H7N7 genannt, der normalerweise für Menschen ungefährlich ist. Ganz anders verhält es sich jedoch mit der Variante, die für die neuesten Infektionen verantwortlich ist. Es handelt sich dabei um den gleichen Virus, H5N1, der schon vor rund sechs Jahren in Hongkong zuschlug. Er kann auch vom Tier auf den Menschen überspringen. Virologen befürchten sogar, dass sich der Virus durch Mutationen so verändern kann, dass er hoch infektiös und von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Dann droht eine weltweite Epidemie.

WOLFGANG LÖHR