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Sprache als Haltegitter: Kathrin Groß-Striffler liest im Literaturzentrum aus ihrem preisgekrönten Roman „Die Hütte“Den Innenraum tiefen Verletztseins ausgelotet

„Die Nächte wurden länger und gingen fast unmerklich in das Grau des Tages über, das sich gegen Abend wieder verdichtete und verdunkelte und zur Nacht wurde und am Morgen allmählich wieder zum Tag, und da es schwer war, Übergänge auszumachen und die Tageszeiten voneinander abzugrenzen, kam die Angst auch am Tag, erst nur manchmal und dann immer öfter und schließlich war es, als verschwände sie überhaupt nicht mehr.“

Dieser allumfassenden Angst ist Johanna ausgesetzt, die Ich-Erzählerin in Kathrin Groß-Strifflers preisgekrönten Romandebüt Die Hütte, aus dem sie heute im Literaturzentrum lesen wird. So schemenhaft wie Tag und Nacht erscheinen, so unfassbar ist diese Angst. Und so unverrückbar Tag und Nacht dennoch aufeinander folgen, so unausweichlich ist sie. Die Abgeschiedenheit der Blue Ridge Mountains, wo sie auf einer Farm arbeitet und in einer kleinen Hütte lebt, gewährt ihr keine Erleichterung. Hierher ist sie zuletzt geflüchtet – nachdem die Fluchten zuvor die unbestimmte Furcht nicht auslöschen konnten. Sie ist mit über den Ozean gekommen, von Deutschland in die USA, wo Johanna studieren wollte. Sie verfolgte sie sogar in die Ehe mit Jim.

Jim, selbst eine erschütterte Persönlichkeit, entwickelte sich zu einem bedrohlichen „Beschützer“: Er ängstigte Johanna, er kontrollierte sie unter dem Vorwand des Schutzes. Von seiner kalten Zwanghaftigkeit und Unberechenbarkeit erfährt der Leser in Rückblenden. Es muss ein weiterer Fluchtimpuls gewesen sein, der es Johanna ermöglicht hat, sich von Jim zu trennen – dessen Verfolgung sie nun fürchtet. Die Angst hat jetzt sein Gesicht. Doch auch als sie ihn heimlich verfolgt und erkennt, dass er nicht daran denkt, ihr nachzustellen, lässt ihre innere Erstarrung nicht nach. Die aggressive Abwehr, mit der sie auf ein Päckchen ihrer Mutter reagiert, bestätigt, dass die Wurzeln der Verunsicherung bis in die Kindheit reichen.

Auf beeindruckende Weise gelingt es Groß-Striffler, die innere Verfasstheit ihrer Figur in der Außenwelt zu spiegeln. In den Beschreibungen der Jahreszeiten, der sich wiederholenden Arbeitsabläufe bildet sich die Angst ab, sie ist den Blicken Johannas und all ihrem Tun unterlegt. Es entstehen lange Sätze, in denen aufeinander folgende Tätigkeiten durch viele „und“ verbunden sind; Sätze, die wie Sicherheit gebende Geländer wirken, die Sprache eine Art Gerüst, das Halt verspricht und zugleich die Bewegungslosigkeit zementiert: Auch formal vermittelt die Autorin eindringlich die emotionale Ausgesetztheit Johannas. „Und als eines Tages die Sonne wieder am Himmel stand (...), als sich die Welt still und ergeben in ihre gefrorene Starre fügte, glaubte ich, dass auch in mir nun nichts mehr in Bewegung geraten könnte und alles ewig so bliebe, wie es war.“

So einfühlsam und präzise Groß-Striffler die Erstarrung schildert, so erzählt sie auch von der Bewegung, die einsetzt, als Johanna sich dem Inhalt des Päckchens zuwendet: Fotos aus der Kindheit, ein Brief vom Vater, Eingeständnis seiner Schuld, der er sich vor Jahren durch Selbstmord entzog.

Die Konfrontation setzt eine Erschütterung frei: Weinen, Empörung und Wut. Auch hier verzichtet die Autorin auf jede Psychologisierung. Keine unglaubhafte Befreiungsschlag-Attitüde verdirbt das Ende des Romans, sondern ein veränderter Blick und kleine Gesten zeugen von der Veränderung. Die Hütte ist ein meisterhaftes Kammerspiel über die Angst, das den Innenraum eines tiefen Verletztseins auslotet. Die Erzähltechnik, diesen Innenraum zugleich zu öffnen und über das Außen zu vermitteln, setzt die Autorin mit einer seltenen und absolut überzeugenden Konsequenz ein. Carola Ebeling

Kathrin Groß-Striffler: Die Hütte, Berlin 2003, 158 S., 15,90 Euro Lesung: Do, 29.1., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38

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