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Archiv-Artikel

Wehe, wenn der NIRAU kommt …

Sobald er auftaucht, zucken alle zusammen: Der militante Störenfried kann einem den ganzen Spaß verderben

Wenn der echte Nichtraucher aufwacht, blickt er nur kurz und ohne echtes Bedauern auf die leere Hälfte seines Doppelbettes. „Das konnte ja nicht gut gehen. Die mit ihrer rauchigen Stimme.“ Egal. Jetzt aber raus aus den Daunen und zehn bis elf Liegestütze oder Kniebeugen: Die Lunge muss frei sein! Schnurr, schnurr, kommt die Katze ums Eck. Leider rauch- bzw. aschegrau. „Muss ich unbedingt auswechseln“, denkt der echte Nichtraucher, „blütenweiß muss die sein.“

Dann schlüpft der Nichtraucher in sein neues T-Shirt. „Der Gesundheitsminister rät“, steht drauf und: „Wer raucht, kriegt ein voll ekliges, riesiges Krebsgeschwür.“ Mit Zeichnung. Auf seinem Weg ins Büro gilt es aufmerksam zu sein. Wenn wer mit Zigarette vorbeigeht, hustet der Nichtraucher laut und vernehmlich und trommelt sich auf die Brust. Manchmal, wenn er gute Laune hat, sinkt er sogar unter starkem Röcheln in die Knie. Vor Tabakläden spuckt er demonstrativ aus und ruft: „Kauft nicht bei Doktor Krebs!“ Im Büro zucken schon alle zusammen, wenn der NIRAU kommt. Man weiß: der riecht den Tabakrauch durchs Schlüsselloch. Außerdem verpetzt er alle, die am Vorabend in der Kneipe waren und sich nicht porentief enträuchert haben. „Rauchpartikel in der Kleidung und im Haarpelz sind nicht weniger schädlich!“, behauptet er steif und fest und: „amerikanische Untersuchungen“. Und: „Wenn ich auch nur den allerkleinsten Krebs kriege, ich zeig euch alle an.“ Eine Stimmung wie im Lager herrscht im Büro, in dem der echte Nichtraucher arbeitet. Aber was soll man machen? Manche Mitarbeiter trauen sich nicht mal mehr, was Geräuchertes zu essen. Einer heißt Rauchensteiner. Der wird von allen gemieden.

Abends, wenn anständige Leute ins Lokal gehen, weil sie noch einen Kleinen heben wollen und in Ruhe eine paffen, wird auch der echte Nichtraucher munter. Dann reibt er sich seine überhaupt nicht nikotingelben Hände und macht sich auf die Socken: Raucher ärgern. Schon an der Tür lässt er die Mundwinkel bis aufs Schlüsselbein fallen. Und als würde er einen auf der anderen Flussseite wartenden Kameraden begrüßen, winkt er den leicht im Raum wabernden Rauch vor sich her. „Roland, wo bist du?“, ruft er dem Barmann zu. Und: „Ich kann dich nicht sehen!“ Er findet das lustig. Roland verdreht die Augen zur Decke: „Oh Gott, der NIRAU.“

Wenn sich der echte Nichtraucher zu jemand an den Tisch setzt, dann kann der das Kreuz machen. Nicht nur, weil er einen Raucherwitz nach dem anderen erzählt kriegt; wehe, er spielt auch nur mit einer Zigarrettenschachtel! Da macht der echte Nichtraucher vielleicht ein Theater! Bekreuzigt sich und verdreht die Augen, droht mit Herzinfarkt. Fängt der andere tatsächlich das Rauchen an, dann geht das Gewimmere erst richtig los: „Nicht zu mir herrauchen! Rauchen Sie doch zum Fenster! Blasen Sie den Rauch zu Boden … an die Decke … ins Klo!“

So lange macht der echte Nichtraucher Radau und ungemütliche Stimmung, bis es allen langt. „Zahlen!“, schallt es von den Tischen zum verzweifelt die Schultern zuckenden Roland. Er traut sich auch nichts zu sagen, weil sonst kommt der NIRAU jeden Tag und versaut ihm das Geschäft komplett. Und so tut er schließlich, als ob nichts wäre, und sagt schon um zehne: „Ich glaub, ich mach heute einmal früher zu.“ Dann ist’s der NIRAU zufrieden und hat sein Tagwerk vollbracht. Bevor er das Lokal verlässt, klebt er – heiser kichernd – noch einen Kaugummi auf den Münzschlitz vom Zigarettenautomaten.

ALBERT HEFELE