: Junkerland in Richterhand
Alteigentümer klagen in Straßburg. Sie wollen volle Entschädigung für Land, das sie unter Sowjet-Besatzung verloren
FREIBURG taz ■ Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wird heute eine der bisher spektakulärsten Klagen verhandelt. Die Bundesrepublik soll für die Nachkriegs-Enteignungen in Ostdeutschland zusätzliche Milliarden-Entschädigungen zahlen. Dies verlangen 68 Einzelpersonen und zwei Unternehmen, darunter MAN-Ferrostaal.
Zwischen 1945 und 1949 wurden in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (SBZ) in großem Stil Grundstücke, Betriebe und Ländereien enteignet. Betroffen waren alle bedeutsamen Industrie- und Mittelstandsbetriebe sowie im Rahmen der „Bodenreform“ rund 7.000 landwirtschaftliche Güter über 100 Hektar („Junkerland“).
Außerdem kamen in den staatlichen Bodenfonds auch rund 4.300 kleinere Bauernhöfe, deren Eigentümer als „Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“ angesehen wurden. Tatsächlich wurden hier aber oft persönliche Rechnungen beglichen.
Im Einigungsvertrag war festgeschrieben, dass diese Enteignungen nicht rückgängig gemacht werden. Das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ galt nur für Enteignungen nach 1949. Stattdessen erhalten die Betroffenen eine gestaffelte Entschädigung, die ab 2004 ausbezahlt wird. Dabei werden nur Verluste bis 10.000 Euro voll entschädigt, während bei Ansprüchen von mehr als 1,5 Millionen Euro nur noch 5 (!) Prozent des Verkehrswertes von 1990 ausbezahlt werden. Aktiengesellschaften und andere juristische Personen gehen völlig leer aus.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelungen in drei Entscheidungen – 1991, 1996 und 2000 – gebilligt. Für die so genannten Alteigentümer ist Straßburg nun die letzte Hoffnung.
Die Chancen stehen gut, dass die Kläger zumindest einen Teilerfolg erzielen. Wenn der Gerichtshof eine mündliche Verhandlung anberaumt, ist dies ein starkes Indiz, dass er eine Verletzung der Europäischen Menschenrechts-Konvention für möglich hält.
Allerdings waren die in mehreren Verbänden organisierten Alteigentümer bereits 1996 in Straßburg gescheitert. Damals wollten sie die Rückgabe der Grundstücke und Ländereien erzwingen. Dies wurde jedoch abgelehnt, weil die Enteignungen vor In-Kraft-Treten der Konvention stattfanden. Jetzt konzentrieren sich die Kläger auf die Höhe der Entschädigung.
Erfolg könnten insbesondere die Stiftung und das Unternehmen haben, die überhaupt keine Entschädigung erhielten. Erst vorige Woche hatte der Straßburger Gerichtshof entschädigungslose Enteignungen für unzulässig erklärt.
Erfolg hatten damals Erben ostdeutscher Bodenreform-Gewinner, die das Land in den 90er-Jahren wieder hergeben mussten, weil sie nicht mehr landwirtschaftlich tätig waren.
Nur historisch interessant ist der jetzt wieder hochgekochte Streit, ob Michael Gorbatschow die Wiedervereinigung vom Bestand der damaligen Eigentumsordnung abhängig gemacht hat. Für die Höhe der Entschädigungen spielt dies keine Rolle. Juristisch kann die Festschreibung der Eigentumsordnung auch mit dem Wunsch gerechtfertigt werden, soziale Unruhen in Ostdeutschland zu vermeiden.
Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet. CHRISTIAN RATH