: Revolutionäre trotzen der Spaltung
Nach der Spaltung der Antifa-Szene rechnet die Polizei mit deutlich weniger Teilnehmern bei der „revolutionären“1.-Mai-Demonstration. Linke Szene hofft dagegen auf Globalisierungskritiker und den Mobilisierungsfaktor Krieg
Keine Aufrufe, keine „runden Tische“, keine hitzigen Diskussionen im Internet, nicht einmal Boykott-Aufrufe zur 13-, 16- oder 18-Uhr-Demo. Lieferten sich voriges Jahr autonome Gruppen in Kreuzberg um diese Zeit längst heftige Wortgefechte um die Frage der radikaleren Demo, ist dieses Jahr tote Hose angesagt. Denkt die Polizei. Die Berliner Zeitung berichtet, dass die Polizeileitung von einer deutlich schwächeren Mobilisierung ausgeht. Der Grund: Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) – einer der Hauptorganisatoren der alljährlichen „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ – hat sich gespalten. Und in der Tat: Im linken Internet-Portal Indymedia befürchten auch viele Autonome, mit dem Wegfall der größten Antifa-Gruppe in Berlin könnten am traditionellen Feiertag der Linken die Demonstrationen wegbrechen – und damit auch die Straßenschlachten.
Doch der Glaube an einen friedlichen 1. Mai 2003 trügt. „Für uns war die Spaltung ein Befreiungsschlag“, sagt Michael Kronewetter, Sprecher der einen Hälfte der ehemaligen AAB, die jetzt „Antifaschistische Linke Berlin (ALB)“ heißt. Grundsatzdiskussionen wie die Frage, ob man sich am Antikriegsprotest beteiligen soll oder nicht, hätten die Gruppe gelähmt. Denn die „bessere Hälfte“, so bezeichnet sich seit der Spaltung der andere Teil, habe dem anderen Lager „blinden Aktionismus“ vorgeworfen. Sie wollte stattdessen in Theoriezirkeln lieber über „radikale Gesellschaftskritik“ diskutieren.
Mit der Spaltung hat der Streit ein jähes Ende gefunden. Die ALB, die laut eigenen Angaben noch immer mehr als 30 Mitglieder zählt und einige hundert Sympathisanten spontan mobilisieren kann, hat sich zum Ziel gesetzt, „mit aller Entschlossenheit“ zum Straßenprotest zurückzukehren.
Und die Planungen für die Demos am 1. Mai laufen bereits auf Hochtouren. So will die ALB gleich zwei Kundgebungen anmelden: Zeitgleich um 15 Uhr am Oranienplatz und am Lausitzer Platz. Wie jedes Jahr rufen maoistische Gruppen wieder zu ihrer Demonstration um 13 Uhr auf, um 16 Uhr will eine weitere autonome Gruppe aus Kreuzberg demonstrieren, und auch das Familienfest am Mariannenplatz, unter Federführung der Grünen und der PDS, findet wieder statt. Anders als in den vergangenen Jahren hofft die ALB aber, dass dieses Mal alle Beteiligten am Abend zu einer Großdemonstration zusammenfinden. Ihr Ziel: „Ganz Kreuzberg 36 für einen ganzen Tag links besetzen.“
Mit zusätzlichem Zulauf am 1. Mai 2003 rechnet die ALB aus Kreisen der Antikriegsbewegung und von Globalisierungskritikern. Lange hätten sich nicht mehr so viele Menschen an linken Protesten beteiligt, findet Kronewetter. Dies werde sich auch auf den 1. Mai auswirken. Er rechnet mit weit mehr Demonstranten als die rund 8.000 im letzten Jahr.
Trotz aller Ankündigungen, bei der Polizei liegt bisher keine Anmeldung der ALB vor. Viele andere Gruppen, die sonst mitmischten, sind mit Demonstrationen gegen den drohenden Krieg beschäftigt. Dennoch erwarten Szenekenner keinen nachlassenden Protest am 1. Mai in Kreuzberg. Zwischen den Demonstranten der Ex-AAB und den Randalierern habe es zumindest im vorigen Jahr ohnehin nur wenig personelle Überschneidungen gegeben. Das stimmt. Während die AAB und 5.000 Menschen noch durch Mitte zogen, waren die Straßenschlachten in Kreuzberg längst im Gange. LENNY SCHULZE