: In Bewegung bleiben
Mindestens 14 Stunden Verspätung hat der Atommüll-Transport, wenn er im Zwischenlager eintrifft. Ein Erfolg für die Atomkraftgegner. Aber können sie verhindern, dass der Ausstieg gekippt wird?
pro
Yes, they can. Die Anti-Atomkraft-Bewegung hat tatsächlich das Potenzial, den Atomausstieg, dieses von den Energiekonzernen, Union und FDP bedrohte Wesen, doch noch zu retten. Allen voran die Kraftwerksbetreiber hatten heimlich gehofft, dass die Atommülltransporte in Zukunft ganz ruhig und protestlos von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager Gorleben rollen könnten. Doch zu früh gefreut.
Dass die Proteste nur abflauten, weil der Atomausstieg beschlossene Sache schien, zeigt sich jetzt, wo die Proteste wiederkommen – in einer Breite, die sogar die Organisatoren etwas überrascht. Ebenso überraschend: Die Demonstranten sind jung. Eine Erleichterung, vor allem für die alten Hasen, die nicht befürchten müssen, dass mit den Jahren der Protest nachlässt. Im Gegenteil: Das Thema ist auch bei den Jungen präsent. Dabei schadet es nicht, dass kurz vor dem Transport die chaotischen Zustände im Atommülllager Asse Schlagzeilen machten. Viele, die in den vergangenen Tagen auf den Gleisen saßen, dürften sich angesichts der haarsträubenden Berichte dazu entschieden haben. Damit war das perfekte Timing des Transports in der nassen Novemberkälte, um Demonstranten abzuschrecken, auf einmal nicht mehr ganz so perfekt.
Doch das Wichtigste: In diesem Jahr hat auch die Politik das Thema wiederentdeckt. Ob sich Grüne von Fritz Kuhn bis Renate Künast in die Reihen der Demonstranten stellen, ob die Linke ihre niedersächsische Landtagsfraktion vor Ort versammelt oder Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) den Abgeordneten seiner Partei Briefe schreibt, um daran zu erinnern, dass der Atomausstieg beschlossene Sache ist – das Thema ist wieder im politischen Alltag angekommen. Eine wichtige Voraussetzung, damit es keinen Ausstieg aus dem Ausstieg gibt. Denn ganz alleine schafft es die Bewegung nicht. Aber ohne sie wäre der erfolgreiche Ausstieg auch nicht möglich. SVENJA BERGT
contra
Es waren nur 15.000 Menschen. So ermutigend die jüngsten Proteste, die Blockaden gegen den Castor-Transport am Wochenende für deren Organisatoren und die Gegner von Atomkraft auch sein mögen, gegen eine parlamentarische Mehrheit für Atomkraft werden sie nicht ankommen. Und die ist gar nicht mehr so unwahrscheinlich.
Als ermutigend feiern die Atomkraftgegner die Tatsache, dass so viele Junge unter ihnen sind, dass eine nächste Generation heranwächst und in ihrer organisatorischen Kraft auch schon so erfolgreich gewesen sei. Das ist ein Erfolg. Respekt ist angebracht.
Die Bilder von brennenden Strohballen, von Frauen und Männern, die jammern und schreien, weil die Polizeikräfte manchmal wenig zimperlich zupackten, haben das Thema aufrüttelnd wieder auf Bildschirme und Titelseiten gepflanzt. Ob es aber auch auf der politischen Agenda im Wahljahr 2009, einem Jahr einer erwarteten wirtschaftlichen Eintrübung, eine mobilisierende Rolle in der politischen Auseinandersetzung für die Mehrheit der Wähler spielen wird, bleibt sehr fraglich. Wenn keine neuen Atomkatastrophen die Gemüter aufwühlen, bleibt es ein Randthema.
Noch ist der Atomausstieg Gesetz. Ob das so bleibt, hängt maßgeblich von der Stärke der SPD ab: Wird Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), erklärter Atomkraftgegner, auch nach der Bundestagswahl 2009 im Amt sein? Wie groß werden die Zugeständnisse einer erwartbar schwächeren SPD als 2005 sein müssen, wenn es auf eine weitere große Koalition hinausläuft?
Momentan sieht es eher danach aus, dass die ehemalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) auf jeden Fall als Bundeskanzlerin an der Spitze der Regierung bleibt: Sie ist nicht nur gegen den Atomausstieg. Sie ist sich mit der FDP, dem Wunschkoalitionspartner der CDU, auch noch darin einig. Die Energieversorger applaudieren.
Diese Front brechen auch keine 15.000. FELIX RETTBERG